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Bild: arbyreed (CC BY-NC-SA 2.0)

Impuls

Das Potenzial des braunen Goldes

Florian Werner veröffentlicht am 27 September 2021 3 min

In einer südkoreanischen Universität vergütet eine Toilette jeden Gang mit digitaler Währung. Knüpfen wir endlich an das antike Wissen an, dass uns die dunkle Materie in goldene Zeiten führen kann?

 

Reisende kennen das Problem: Die Blase drückt, der Enddarm ebenso – aber hat man endlich eine öffentliche Toilette gefunden, muss man erst einmal das Portemonnaie zücken und einen gewissen Geldbetrag abdrücken, bevor man sich erleichtern kann. Auf Bahnhöfen, Autobahnraststätten und an anderen öffentlichen Orten blüht das Geschäft mit dem Geschäft. Der Defäkierende wird, ob er nun will oder nicht, zum sprichwörtlichen Dukatenscheißer gemacht.

Wenn es nach dem südkoreanischen Professor Cho Jae-weon geht, könnte sich dies grundlegend ändern: Der Wissenschaftler vom Nationalen Institut für Wissenschaft und Technologie in Ulsan hat nämlich eine Toilette entworfen, die ihre Nutzer nicht etwa zur Kasse bittet, sondern ganz im Gegenteil für die Darmentleerung entlohnt. Pro Tag erhält der geneigte Toilettengänger zehn Ggool, eine südkoreanische Kryptowährung (die von Spöttern freilich bereits als „Shitcoins“ geschmäht wird). Die dabei erbeuteten Fäkalien werden in Methangas umgewandelt, das unter anderem zur Warmwassererzeugung verwendet wird. Man müsse eben „out of the box“ denken, so Cho Jae-weon, also sinngemäß: über den eigenen Kloschüsselrand hinausschauen. Dann könne man erkennen, dass Exkremente ein wertvoller Energielieferant und Dünger sind.

 

Steuern aus dem Enddarm?

 

Klingt ökonomisch und ökologisch überzeugend – ist aber bei weitem nicht so neu, wie der gute Professor das glauben machen will. Dass Fäkalien eine überaus kostbare Nährlösung darstellen, war bereits in der Antike bekannt: „Die Schriftsteller empfehlen als Düngemittel übereinstimmend vor allem den Menschenkot“, wusste Plinius der Ältere zu berichten. „Als nächstes schätzt man den Mist der Schweine. Andere bevorzugen den Mist eines jeden vierfüßigen Tiers, das mit Schneckenklee gefüttert wurde, wieder andere den Taubenmist.“ Auch die sagenhafte Figur des Goldesels, wie sie etwa aus den Märchen der Gebrüder Grimm überliefert ist, zeugt von der symbolischen Engführung von Kot und Geld.

Ihren Höhepunkt erreichte die Begeisterung für das braune Gold Mitte des neunzehnten Jahrhunderts: Hygieniker, Agrarwissenschaftler und Sozialreformer überboten sich gegenseitig mit Berechnungen über den genauen Wert der städtischen Fäkalien und Vorschlägen für ihre bestmögliche Verwendung. Besonders in Frankreich wehrte man sich lange gegen die Einführung der Schwemmkanalisation und propagierte stattdessen das systematische Fäkalien-Recycling. So schlug etwa der Philosoph Pierre Leroux vor, dass jeder Bürger seine Exkremente sorgsam aufbewahren und an Stelle von Steuern dem Staat übergeben solle: „Der landwirtschaftliche Ertrag würde sich sofort verdoppeln, und das Elend verschwände vom Angesicht der Erde.“

 

Verdrängt und weggespült

 

Doch all diesen gewichtigen Argumenten zum Trotz behielt der Ekel gegenüber dem Kot letztlich die Überhand, und der befruchtende Aspekt der Exkremente wurde in der öffentlichen Wahrnehmung fast vollständig von ihren negativen Eigenschaften überdeckt. Der Siegeszug der Schwemmkanalisation in den europäischen Metropolen besiegelte schließlich die traditionelle Gleichsetzung von Kot und Gold. „Und damit ist allmählich die tatsächliche Trennung der zwei Vorgänge, Hergabe des Kotes und Belohnen mit Geld, vollzogen“, schreibt der Soziologe Peter Gleichmann. „Peinlichkeitsängste und Peinlichkeitsvermeidung werden zum zentralen seelischen und schließlich sozialen Antrieb für den Aufbau der gigantischen Kanalisationssysteme.“ Die Fäkalien wurden fast vollständig in den Untergrund, das heißt: in das Unbewusste der Städte verdrängt. Bedenkt man, dass die Einwohner einer Stadt von der Größe Berlins täglich geschätzte 800 Tonnen Kot produzieren, ist es geradezu erstaunlich, dass man auf unseren Straßen nur hin und wieder über einen Hundehaufen stolpert.

Die Shitcoin-Toilette von Cho Jae-weon stellt dieses Verhältnis wieder vom Kopf auf die Füße: Sie holt die verfemte, verdrängte Substanz zurück aus den Tiefen der Diskurskanalisation und macht sie wieder salonfähig. Früher habe er immer gedacht, Fäkalien seien etwas Schmutziges, bekennt ein Postdoktorand des Nationalen Instituts in Ulsan freimütig – nun aber rede er sogar beim Essen über seine Ausscheidungen und denke darüber nach, was er sich von ihrem Erlös kaufen können. Wir wagen zu prophezeien: Wenn sich die südkoreanische Variante der Sanifair-Toilette durchsetzt, dann stehen uns dunkle – und das heißt: goldene – Zeiten bevor. •
 

Florian Werner ist Schriftsteller und promovierter Literaturwissenschaftler. Zum Thema erschien 2011 sein Buch „Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheisse“ bei Nagel & Kimche.

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