Ein Leben zwischen Sinnlichkeit und Engagement
Freiheit braucht Mut. Kaum ein Denker des 20. Jahrhunderts stand für diese Überzeugung vehementer ein als Albert Camus. Als Philosoph, Romancier, Journalist suchte er nach Sinn in einer absurden Welt. Gegen starre Ideologien und abstrakte Werte verschrieb er sich dem täglichen Einsatz für Menschlichkeit.
„Die Freiheit ist ein Schrei, dem eine lange Mühe folgt, sie ist kein behaglicher Ort und auch kein Alibi“, schreibt Albert Camus 1955 in der Zeitschrift Express. Zeitlebens setzt er sich dieser Mühe immer wieder aus, wendet sich gegen die Glaubenssätze und vermeintlichen Sicherheiten seiner Zeit, riskiert Alleingänge. Camus sucht nach Glück, ohne die Absurdität zu leugnen, strebt nach Mut ohne Heldentum, Aufbegehren ohne Revolution. Dabei wird er zum Pariser Starintellektuellen und sehnt sich doch nach der einfachen Welt seiner Kindheit.
Camus wird am 7. November 1913 nahe Mondovi, dem heutigen Dréan, in Algerien geboren, auf dem Küchenboden einer Lehmhütte – so zumindest beschreibt er die Szene seiner eigenen Geburt in seinem letzten, posthum veröffentlichten Roman „Der erste Mensch“. Camus ist ein „Pied-Noir“, ein Algerienfranzose. Seinen Vater, Lucien Auguste Camus, hat er nie kennengelernt. Er fällt ein Jahr nach seiner Geburt im Ersten Weltkrieg. Mit der Mutter und dem älteren Bruder Lucien zieht er zu seiner strengen Großmutter und seinem Onkel in das Arbeiterviertel Belcourt in Algier. Gemeinsam lebt man in einer kleinen, kahlen Wohnung, ohne Toilette, ohne Strom, geschweige denn Bücher. Seine Kindheit ist in mehrfacher Hinsicht von Kargheit geprägt: Die Mutter verstummt nach dem Tod ihres Mannes. Statt sich am Esstisch über den Tag auszutauschen, rückte man abends den Stuhl ans Fenster, um dem Treiben auf der Straße zuzuschauen. Diese distanzierte, stille Welt der Kindheit ist in Camus’ späteren Beschreibungen des Absurden zu spüren, wenn er vom „Schweigen der Welt“ und der „schweigenden Einsamkeit“ der Seele spricht. Ebenso wie das Bild der unnahbaren Mutter wird die Stille sich durch seine Werke ziehen.
Erst in der Schule lernt Camus korrektes Französisch, zeigt sich als emsiger, begabter Schüler und erhält schließlich dank seines Lehrers Louis Germain ein Stipendium und die Erlaubnis der Großmutter, die höhere Schule zu besuchen. Jahrzehnte später, im Herbst 1957, als ihn die Nachricht über den Literatur-Nobelpreis erreicht, schreibt Camus an seinen ehemaligen Lehrer: „mein erster Gedanke, nach meiner Mutter, (galt) Ihnen. Ohne Sie, ohne Ihre liebevolle Hand, die Sie dem armen kleinen Kind, das ich war, gereicht haben (…) wäre nichts von alldem geschehen.“
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Die neue Sonderausgabe: Camus
Engagiert, sinnlich, mutig, charismatisch: Es gibt kaum einen Philosophen, der mehr Anziehungskraft besäße als Albert Camus. Zumal in diesen Tagen, in denen sich Camus als der Denker unserer Zeit zeigt. In dieser Sonderausgabe stellen wir Ihnen Werk und Leben des französischen Existenzialisten vor.
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Der blinde Fleck im Absurden
In seinem Roman Der Fremde hat Albert Camus den Kolonialismus auffällig unthematisiert gelassen. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud hat deshalb einen Gegenroman geschrieben. Doch verrät die Lücke auch etwas über Camus’ Philosophie?

Gestalte dein Werden!
Eine ganze Epoche wurde nach ihm benannt. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) dominierte das Geistesleben einer Zeit, die auch für die deutsche Philosophie von entscheidender Bedeutung war. ob Herder oder Schopenhauer, Schiller oder Fichte, mit allen diesen Denkern stand der Weimarer Geheimrat und Dichterfürst in engem kreativen Austausch. In seinen lebenslangen naturphilosophischen Studien suchte Goethe einen Mittelweg zwischen Naturalismus und Idealismus, der auch für heutige Problemstellungen wichtige Impulse enthält. Nicht zuletzt verkörperte der Autor des „Werther“ und des „Faust“ bereits für seine Zeitgenossen eine Lebensklugheit und geistige Wachheit, die gerade in Zeiten der totalen Zerstreuung und Zermürbung den Weg in ein freieres Werden weisen können.

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Nachdem Camus bereits in Die Pest Distanz zu den großen Ideen hält, entwickelt er diese Haltung in Der Mensch in der Revolte zu einer philosophischen Kritik. Camus warnt vor einem revolutionären Verständnis der Geschichte. Sein Gegenentwurf ist die Revolte. Philippe Sabot erläutert Camus’ Position.

Eine Freundschaft im Geiste
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Die Welt retten
Vor acht Jahren, noch bevor der Wikileaks Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London Zuflucht vor einem schwedischen Haftbefehl und möglicher Auslieferung an die USA suchte, brachte das Philosophie Magazin den Australier ins Gespräch mit dem Moralphilosophen Peter Singer. Seit April diesen Jahres sitzt Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Osten Londons. Jetzt fordern mehr als 130 Politiker, Künstler und Journalisten die sofortige Freilassung von Wikileaks-Gründer Assange. In einem gemeinsamen Appell, rufen sie Großbritannien dazu auf, den 48-Jährigen aus medizinischen und menschenrechtlichen Gründen aus der Haft zu entlassen.
Im Dialog mit Singer spricht Assange über die Axiome, die er seinem Handeln zu Grunde legt, seine Vorstellungen von Moral und darüber, kein Freund von Transparenz zu sein.

Catherine Camus: „Mein Vater sah mich, wie ich war“
Catherine Camus, die Tochter von Albert Camus, erinnert sich an ihre Kindheit, den früh verstorbenen Vater und das moralische Gewicht seines Erbes.

Carolin Emcke: „Intellektuelle zeigen sich durchlässig für Anfechtungen“
Camus war nicht nur Philosoph, sondern immer auch öffentlicher Intellektueller, der Stellung zum Geschehen in der Welt bezog. Was macht solch ein engagiertes Denken aus? Ein Gespräch über den Krieg, die Pandemie und den Einsatz für Solidarität und Demokratie in unserer Zeit.
