Lenins Sturz
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat nicht erst 2022 oder 2014 begonnen. Seine Vorgeschichte reicht zurück ins frühe 20. Jahrhundert. Der Politologe Dominique Colas spürt den Hintergründen des Konflikts in Bezug auf den Umgang mit Lenin-Statuen in beiden Ländern nach.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine begann 2014 und erreichte am 24. Februar 2022 mit der massiven Aggression der russischen Armee gegen die Ukraine einen Höhepunkt. In Wirklichkeit begann der Konflikt zwischen diesen beiden Nationen jedoch schon viel früher. So wurde die Hungersnot, die in der Ukraine von 1921 bis 1922 herrschte, von Lenin auf kolonialistische Weise gehandhabt, während der „Holodomor“ (Ukrainisch für „Tötung durch Hunger“) von 1932 bis 1933, bei dem mindestens 3,5 Millionen Menschen starben, von Stalin selbst angezettelt wurde. Die Rada (das ukrainische Parlament) stufte den „Holodomor“ 2006 als Völkermord ein, da die ukrainischen Nationalisten fanden, dass die russischen Kommunisten ihr Land auf brutale Weise unterdrückt haben. Daher greifen sie das am weitesten verbreitete und sichtbare Symbol ihrer Herrschaft an: die Lenin-Statuen. In Russland, wo die Statuen seit 1919 aufgestellt wurden, stehen sie dagegen noch immer.
Um diesen Gegensatz zu verstehen, muss man sich den Denkmälern aus einem historischen Blickwinkel nähern. Relevant ist hier die politische Logik der UdSSR, die vom Parteistaat regiert wurde und in dem das Zentrum über die Peripherie herrschte. Doch 1991 zerfällt die Sowjetunion in 15 Republiken, darunter Russland und die Ukraine, die sich hinsichtlich der Lenin-Statuen, einem Aspekt ihres symbolischen Gedächtnisses, radikal voneinander unterscheiden werden.
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