Tagebuch der Überforderungen: Steuererklärung
Es sind die kleinen Dinge, die das Leben so unfassbar anstrengend machen. In seinem Tagebuch der Überforderungen hält Jochen Schmidt das Ringen mit dem Profanen fest. Diesmal: Die Steuererklärung machen.
In der Corona-Zeit hat mir mein Steuerberater geschrieben, dass er zu seinem Bedauern mehr Geld von mir verlangen müsse, da, wie ich sicher wisse, in unserer Welt ständig alle Kosten steigen würden, und so auch für seine Firma. Ich habe ihm zurückgeschrieben, dass ich das gut verstehen kann, nur dass meine Einnahmen leider seit Jahren nicht steigen würden. Unsere Brieffreundschaft schlief daraufhin schon wieder ein. Nach Silvester habe ich mir vorgenommen, wovon ich seit Jahren träume: meine Steuererklärungen in Zukunft selbst zu machen. Ich habe mir die WISO-Steuer-Software gekauft und, weil ich eine Woche „Urlaub“ hatte und der Kühlschrank voll war, sofort losgelegt, um das Haus für ein paar Tage nicht mehr zu verlassen. Nach zwei Stunden war ich so weit, reumütig meine Unterlagen wie gewohnt dem Steuerberater zuzuschicken. Ich musste mich zwischen Einnahmen-Überschussrechnung, Umsatzsteuer-Voranmeldung, Umsatzsteuererklärung und Einkommensteuererklärung zurechtfinden. Warum arbeiten Menschen, die die Intelligenz besitzen, das Steuersystem zu durchschauen und sogar fremder Leute Steuern zu bearbeiten, nicht lieber als Mathematiker oder theoretische Physiker? Zum Glück habe ich neulich mein „Reifezeugnis“ wiedergefunden und konnte zwischendurch immer mal nachlesen, dass ich zumindest vor 35 Jahren über die nötige Reife für ein Hochschulstudium verfügt habe, denn ich fühlte mich vernagelt und begriffsstutzig.
Hat Hegel je eine Steuererklärung gemacht?
Mehrere Nächte saß ich bis in die Morgenstunden mit meinen Unterlagen da und versuchte nachzuvollziehen, wie der Steuerberater bisher meine Ein- und Ausgaben „kontiert“ hatte, um es ihm in Zukunft gleichzutun. Gegen 5 Uhr morgens, mit einer halben Flasche Rotwein intus, fing es sogar an Spaß zu machen. Die Software zeigt einem immer an, wieviel Steuern man zu zahlen hätte, und man kann die böse Zahl nach unten treiben, indem man noch etwas abzusetzen findet. Die Renovierungskosten des Arbeitszimmers, das Lastenfahrrad zur Anreise zu Lesungen (das allerdings über Jahre „abgeschrieben“ wird), die Kosten für die Steuer-Software selbst. Sogar ein Au-Pair-Mädchen kann man absetzen, leider hatten wir nie eines, aber bin ich nicht selbst eine Art Au-Pair für meine Kinder? Ich könnte ja in den Keller ziehen und ein halbes Jahr nur Französisch mit ihnen sprechen. Da ich meine Umsatzsteuer-Voranmeldung vierteljährlich machen muss, habe ich jetzt schon Angst, in diesem Quartal etwas zu verdienen. Ich gebe nämlich viel zu wenig aus, dadurch zahle ich so viel Steuern und habe am Ende Schulden, wenn ich das richtig verstanden habe. Ein großes Fragezeichen bleibt, weil ich 2023 meinen ersten Literaturpreis bekommen habe, worüber ich sehr glücklich war, nur leider muss ich das Geld unter Umständen versteuern. Es handelte sich um den „Stahl-Literaturpreis der Stahl-Stiftung Eisenhüttenstadt“ (in den Fünfzigern hätte er sicher noch klingender „Stalin-Preis der Stahl-Stiftung Stalinstadt“ geheißen). Preise gelten als Einnahme und müssen versteuert werden, wenn die Zuwendung den Charakter eines „leistungsbezogenen Entgelts“ hat, nicht aber, wenn sie „eher die Persönlichkeit des Empfängers würdigen soll“. (Gewinne bei Wer wird Millionär sind dagegen immer steuerfrei, weil sie als Lottogewinn gelten). Ich finde, dass in Eisenhüttenstadt meine Persönlichkeit gewürdigt worden ist, jedenfalls wäre das mal angebracht gewesen.
Nachdem ich es endlich geschafft habe, mittels einer Software, die ELSTER heißt (welcher Spaßvogel hat sich diese Bezeichnung ausgedacht?), alle Unterlagen beim Finanzamt einzureichen und nun ängstlich auf mein Todesurteil warte, denke ich mit einem gewissen Neid an Autoren aus früheren Epochen. Hat Hegel je eine Steuererklärung gemacht? (Oder musste er nur dem König aus seinen Werken vorlesen?) Und Platon? Steht darüber etwas im Staat? (Mussten damals nicht alle wohlhabenden Athener ein Schiff für die Flotte bereitstellen?) Oder hat man früher einfach wie in Mantel- und Degenfilmen ein Beutelchen mit Münzen geworfen, die nicht mal nachgezählt wurden, und die Sache war erledigt? •
Jochen Schmidt wurde 1970 in Berlin geboren. Im Herbst 2025 wird bei C. H. Beck sein neuer Roman „Hoplopoiia“ erscheinen. 2004 erhielt er den Förderpreis zum Kasseler Literaturpreis für Grotesken Humor und 2023 den Stahl-Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt.