Warum streiten wir?
Der Streit ist Alltag: im Job, in der Familie, in Beziehungen. Doch warum streiten wir eigentlich? Drei Philosophen haben eine Antwort.
Aus Eitelkeit
Arthur Schopenhauer
(1788 – 1860)
Die Eitelkeit „will nicht haben, dass was wir zuerst aufgestellt, sich als falsch und das des Gegners als Recht ergebe“. So diagnostiziert Arthur Schopenhauer in seiner Eristischen Dialektik und spielt damit auf die Eigentümlichkeit an, dass wir lieber auf unserem Recht beharren, als einen Irrtum einzugestehen. Dabei wissen wir eigentlich oft selbst, dass wir uns irren. Doch die „natürliche Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts“ ist Schopenhauer zufolge der Grund, warum wir nicht ehrlich sind und uns lieber weiter streiten. Der Streit wird so zu einem Spiel, die richtige Taktik führt zum Sieg. Schopenhauer bietet dafür 38 Kunstgriffe an, die zum Triumph in jeder Diskussion führen sollen – etwa die Behauptung des Gegners so verallgemeinern, dass sie offensichtlich falsch wird. Recht zu behalten, bedeutet also nicht konsequenterweise, richtig zu liegen.
Weil Streit der Ursprung von allem ist
Heraklit
(ca. 520 – 460 v. Chr.)
Heraklit, auch „Der Dunkle“ genannt, wies dem Streit eine produktive Wirkung zu. Wie viele seiner Zeitgenossen beschäftigte er sich mit der Frage nach dem Ursprung (archḗ) und kommt in seinen Aphorismen zu dem Schluss: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ Der Streit könne dementsprechend als grundlegender Treiber der Geschichte verstanden werden, ja, das Weltgeschehen lasse sich selbst als Streit charakterisieren. Immer treffen Gegensätze aufeinander und bringen so die Geschichte voran. Seine These, dass Streit der Motor des Fortschritts ist, legt die Grundlage für das, was später Dialektik genannt werden wird. Denken Sie also im nächsten Streit daran, dass Sie gerade Weltgeschichte schreiben!
Weil wir uns vergleichen
Alexis de Tocqueville
(1805 – 1859)
Werden die Menschen gleicher, streiten sie auch mehr. Das hat der Philosoph und Politiker Alexis de Tocqueville in Über die Demokratie in Amerika beobachtet. Das nach ihm benannte Tocqueville-Paradoxon besagt: Der Abbau sozialer Ungleichheiten führe zu mehr Streit über noch bestehende Ungerechtigkeiten. Der „Hass (…) gegenüber Privilegien“ korreliere mit dem Schwinden dieser, denn die emanzipierten Subjekte kommen erst dann in die Position, ihre Interessen zu artikulieren. Gleichzeitig steige das Bewusstsein für die übrig gebliebene Ungerechtigkeit des Status quo durch ihre Thematisierung. Eine Revolution, die Eskalation des Streits, bricht ihm zufolge deshalb auch nicht am Höhepunkt der Krise aus, sondern wenn die Lage beginne, sich zu bessern. •
Kommentare
Vielleicht kann man sagen, dass Streit entstehen kann, wo ein Wille mit einem anderen in Konflikt gerät und eine ruhige Verhandlung zumindest einer Seite nicht zu reichen scheint.
In meiner Imagination streiten sich Gorillas einer Gruppe. (Da gibts auch reichlich Filmaufnahmen.)
Um Streit zu beruhigen hilft in meiner Vorstellung nebst allgemeiner Verhandlungsfähigkeit in dieser Imagination für den Moment, den eigenen Willen zu bremsen, und für die Dauer, durch Leistung den eigenen Willen sozial anerkannt zu machen.
Ich danke für den Beitrag und die Möglichkeit zu kommentieren.