Die Sache mit dem Surfen
Wellenreiter sind Engel der Geschichte, nur unter umgekehrtem Vorzeichen: Von Surfern lernen heißt, mit der Zukunft zu tanzen, meint Wolfram Eilenberger.
Lange schon lieb ich ihn, den Blick aufs wellenfrohe Meer, wo sonnengegerbte, meist junge Menschen, Amphibien gleich, den Augenblick belauern, sich bäuchlings gen Strand zu stürzen, um im seltenen Gelingensfall die gesamte Evolution unserer Art binnen weniger Sekunden zur Aufführung zu bringen: vom Aquatischen ins Terrestrische, vom Kriechen in den freien Stand, vom rohen Überlebenskampf ins sich selbst genügende Spiel artistischer Vervollkommnung. Zweckfreier und also schöner als im Surfen kann der Mensch der Natur sich nicht aussetzen!
Die Ambivalenz von erwartbarer Überwältigung und momenthaft glückender Bewältigung verleiht der Kunst des Wellenreitens gegenwärtig eine geradezu geschichtsphilosophische Dimension: Gäbe es eine treffendere Verkörperung für das Existenzgefühl unserer Zeit als einen mittelweit gereisten Touristen, der – seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Arme sind freiheitsfroh ausgespannt – dem Schauspiel der Surfenden vom Strande aus beiwohnt, während der sandige Boden unter seinen Füßen ihm vom gewaltigen Sog einer weiteren nahenden Woge Zug um Zug entzogen wird? Der Engel des Anthropozäns muss so aussehen.
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