Bernhard Pörksen: „Trumps Erfolgsrezept ist die Gleichzeitigkeit von Total-Verwirrung und Brachial-Orientierung“
Der Sturm auf das Kapitol war wohl einer der letzten Tiefpunkte von Donald Trumps Präsidentschaft. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erläutert im Interview, warum die Spaltung der Gesellschaft aber auch künftig Trumps Geschäftsmodell bleiben könnte und weshalb die „sanfte Ignoranz der Idiotie“ eine Zukunftsaufgabe des Qualitätsjournalismus ist.
Philosophie Magazin: Herr Pörksen, am Mittwoch stürmten Trump-Anhänger das Kapitol in Washington, um die Bestätigung Joe Bidens als 46. Präsidenten der USA zu verhindern. Seit dessen Wahlsieg machte Präsident Trump Stimmung, indem er das Wahlergebnis nicht anerkannte und stattdessen von einem Erdrutschsieg zu seinen Gunsten sprach. Wie lässt sich erklären, dass derart viele Menschen sich von solch hanebüchenen Behauptungen zu derartigen Taten anstacheln lassen?
Bernhard Pörksen: Ich denke, wir sehen wir hier ein Zusammenspiel von moderner Medientechnologie und populistischer Ideologie. Donald Trump und seine Anhänger wünschen sich den Wahlsieg – und die Informationsökologie des Digitalen ermöglicht etwas, was man eine Entfesselung des Bestätigungsdenkens nennen könnte: Der klassische Journalismus wird schwächer und erreicht manche Republikaner gar nicht mehr. Die Medienverdrossenheit nimmt zu. Und das, was man ablehnt, wird schlicht als „Fake News“ etikettiert und damit als Korrektiv der eigenen Ideologie blitzschnell aussortiert. Und in einer Parallelwelt ultrakonservativer Fernsehsender und Netzplattformen werden in endloser Wiederholung und Penetranz Wunschwirklichkeiten erschaffen, weil man sich hier endgültig von den Idealen des klassischen Journalismus – Objektivität, Fairness, Faktenorientierung – verabschiedet hat.
Viele hofften, dass sich Trumps Kurs nach dem Sieg Bidens mäßigen bzw. sich seine Partei von ihm distanzieren würde. Einer Umfrage von YouGov zufolge allerdings, heißen 45 Prozent der republikanischen Wähler den Sturm auf das Kapitol gut. Ist demnach zu befürchten, dass Donald Trump eine Art postmoderner Warlord wird, der einen wütenden Mob außerparlamentarisch steuert?
Ja, das ist die Gefahr. Wir haben in den letzten Tagen noch einmal Trumps Propagandamethode wie unter einem Brennglas gesehen – Realitätszensur durch Rauschen, Verwirrung durch die permanente Produktion von Nonsens-News, Aufstachelung zur Gewalt durch Verschwörungstheorien und die Umdeutung der bloßen Meinung zum gesicherten Faktum. So wird irgendwann unklar, was eigentlich stimmt. Und in der allgemeinen Ermüdung und Orientierungssehnsucht taucht dann der König im Behauptungsbusiness wieder auf – und ordnet die Welt mit seinen Schwarz-Weiß-Formeln, die jeder sofort begreift. Dies ist Trumps Erfolgsrezept – die Gleichzeitigkeit von Total-Verwirrung und Brachial-Orientierung. Und da viele seiner Unternehmen, wie wir aufgrund der Recherchen der New York Times wissen, finanziell massiv in Schieflage sind und er vor allem als Bullshitter im Mediengeschäft erfolgreich ist, wird er seine Methode weiter anwenden. Aber nicht notwendig, um tatsächlich Politik zu machen, sondern um Geld zu verdienen. Ich rechne damit, dass der Noch-Präsident versuchen wird, ein eigenes Medienunternehmen zu gründen, um direkter zu kassieren und jede Inszenierungskontrolle abzustreifen. Die Spaltung der Gesellschaft wäre hier weniger ein ideologisches Programm, sondern eher zentrales Geschäftsmodell.
Die Stürmung des Kapitols erinnerte manche an Bierkelleraufstände aus der Vergangenheit. Lässt sich Trumps Bewegung mit dem historischen Faschismus vergleichen? Oder erleben wir hier etwas völlig Neues?
Ich bin kein Anhänger des Faschismus-Vergleichs, grundsätzlich nicht. Weil ein solcher Vergleich in der Regel gleich doppelt blind macht. Zum einen wird hier das unendliche Leid des historischen Faschismus relativiert und im Akt der Identifikation ausgeblendet, zum anderen übersieht man das Neuartige, die besondere Dimension. Für mich gilt: Donald Trump ist gleichzeitig das Geschöpf und der Programmdirektor einer digitalen Erregungsgesellschaft, eine Mischfigur aus Reality-TV-Star und Internet-Troll. Er peitscht Menschen auf, und er profitiert von der Spektakel- und Erregungsgier der Medienwelt, die er selbst entscheidend voran treibt. Was man da tun kann? Den spaltenden Provokateur nicht unnötig mit publizistischem Sauerstoff zu versorgen – das müsste das Ziel sein. Mir scheint, dass die sanfte Ignoranz der Idiotie eine Zukunftsaufgabe seriöser Medien sein wird. •
Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Kürzlich veröffentlichte er gemeinsam mit Friedemann Schulz von Thun das Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ im Hanser-Verlag.
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