Direkt zum Inhalt
Menu Top
    loginAnmelden shopping_basketHefte kaufen assignment_addAbonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Philo.live!
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Philosophen
  • Begriffslexikon
  • Bücher
  • Kulturanzeiger
rechercher
 Philosophie Magazin - Impulse für ein freieres Leben
Menu du compte de l'utilisateur
    loginAnmelden shopping_basketHefte kaufen assignment_addAbonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Philo.live!
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Philosophen
  • Begriffslexikon
  • Bücher
  • Kulturanzeiger
Tag - Body

Bild: Claudio Schwarz | @purzlbaum (Unsplash)

Impuls

Nichts als die Wahrheit?

Timm Lewerenz veröffentlicht am 06 Mai 2021 4 min

Ein vom Schriftsteller Ferdinand von Schirach mitinitiiertes Manifest fordert ein „Recht auf Wahrheit“ gegenüber Amtsträgern. Was zunächst nach einem Segen für die Demokratie klingt, wäre nach dem Politikverständnis Hannah Arendts jedoch das genaue Gegenteil.   

 

„Neue Grundrechte für Europa“ lautet die Forderung der Kampagne Jeder Mensch. Das gleichnamige Manifest dieser Initiative entstand dabei unter der Federführung des Autors und Juristen Ferdinand von Schirach. Enthalten sind darin sechs Artikel, die als „Ergänzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Verfassungen ihrer Mitgliedstaaten“ verstanden sein wollen. Sie sollen Antworten auf die in jüngster Zeit deutlich gewordenen Bedrohungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geben und reichen von Umweltschutz (Art. 1) über Digitale Selbstbestimmung (Art. 2) bis zu Künstlicher Intelligenz (Art. 3) und den Produktionsbedingungen der Globalisierung (Art. 5).

Ganz besondere Beachtung verdient der vierte Artikel: „Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.“ Der Grund für diese Forderung liegt auf der Hand: Kaum etwas scheint in den letzten Jahren für so viel gesellschaftliche Spaltung und öffentliches Unheil gesorgt zu haben, wie die Verwässerung und Leugnung von Fakten. Seien es die berüchtigte Buskampagne der Brexiteers, die rund 30.000 gezählten Lügen und Falschaussagen der Trump-Regentschaft oder die schamlose Negierung von Pandemie-Gefahr und Umweltzerstörung durch Jair Bolsonaro und andere Politiker: Wie sollte man dem spaltenden Wirken derart unverblümter Wahrheitsleugner Einhalt gebieten, wenn man sie nicht für Wortbruch und manipulative Falschaussagen zur Rechenschaft ziehen kann?
So nachvollziehbar dieser Impuls auch sein mag, birgt er doch selbst große Probleme. Bei näherer Betrachtung bedeutet die Wahrheitspflicht in der Politik nämlich nichts Geringeres als die Untergrabung der freiheitlich-demokratischen Ordnung.

 

Nicht verhandelbar

 

Um dies zu verdeutlichen, muss man sich zunächst den Begriff der Wahrheit genauer ansehen. Eine der folgenreichsten Bestimmungen führte dabei Gottfried Wilhelm Leibniz ein, indem er zwischen Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten unterschied. Vernunftwahrheiten wie „1=1“ seien logisch zwingend und objektiv nachvollziehbar, während Tatsachenwahrheiten wie „Es regnet gerade“ der Überprüfung durch die Erfahrung bedürfen. Mittels dieser begrifflichen Unterscheidung lässt sich das Verhältnis von Wahrheit und Politik näher bestimmen: Verweist ein Politiker auf Vernunftwahrheiten, um seinen eigenen Standpunkt zu rechtfertigen, so bewegt er sich im Bereich unangreifbarer Notwendigkeiten. Das Problem dabei: Derartige Argumentationsmuster tendieren stets dazu, einen totalitären Charakter anzunehmen, da solch eine Wahrheit ihrem Wesen nach eben nicht verhandelbar ist. Besonders deutlich kam diese Form der „Wahrheitsnutzung“ in faschistischen und sowjetkommunistischen Regimen zum Tragen. Hier wie dort wurde die Herrschaft aus einer ideologisch scheinbar notwendigen „Wahrheit“ hergeleitet, sei es nun die vermeintlich naturgegebene Vormachtstellung einer „Herrenrasse“ oder die geschichtsphilosophisch vorprogrammierte „Diktatur des Proletariats“.

Nach Hannah Arendt verlässt eine solche Politik den Raum des eigentlich Politischen, nämlich den Bereich auszutarierender Meinungen und divergierender Interessen. In ihrem 1964 erschienenen Essay Wahrheit und Politik stellt sie fest, dass „innerhalb des Bereichs menschlicher Angelegenheiten jeder Anspruch auf absolute Wahrheit, die von den Meinungen der Menschen unabhängig zu sein vorgibt, die Axt an die Wurzeln aller Politik und der Legitimität aller Staatsformen legt.“ Was bedeutet das nun aber für die Forderung der Jeder Mensch-Initiative? Natürlich geht es den Unterzeichnern bei ihrem Ruf nach einer Wahrheitspflicht nicht um eine philosophisch oder ideologisch begründete Vernunftwahrheit, sondern sie verlangen, dass die Aussagen der Amtsträger schlicht den Tatsachen entsprechen. Es geht ihnen also in aller erster Linie um Tatsachenwahrheit. Und was könnte der Demokratie dienlicher sein, als die gewählten Repräsentanten darauf zu verpflichten, Fakten anzuerkennen, anstatt sie bewusst zu leugnen?

 

Die Möglichkeit einer Lüge

 

Arendts Kritik am Wahrheitsbezug innerhalb des politischen Diskurses begrenzt sich jedoch keineswegs nur auf die Vernunftwahrheiten: „Die Schwierigkeit liegt darin, daß Tatsachenwahrheit wie alle Wahrheit einen Gültigkeitsanspruch stellt, der jede Debatte ausschließt, und die Diskussion, der Austausch und Streit der Meinungen, macht das eigentliche Wesen allen politischen Lebens aus.“ Ein politischer Diskurs ist immer der Diskurs von Interessensvertretern und in ihm herrschen gänzlich andere Kräfte als in einem philosophischen Proseminar: Statt um kollektive Wahrheitsfindung geht es um Macht und Ohnmacht. Dies bedeutet keineswegs, dass der Demagogie hier Tür und Tor geöffnet werden soll: Es bedarf der Kontrollinstanzen, angefangen bei unabhängigen Gerichten über transparente Untersuchungsausschüsse bis hin zum investigativen Journalismus. Und es ist vor allem das Scheitern derartiger Kontrollinstanzen – beziehungsweise der Verlust ihres gesellschaftlichen Rückhaltes – der zu einer Kultur der Fake-News und „alternativer Fakten“ führt, nicht die politische Lüge als solche.

Wer die Leugnung der Wahrheit als Grundrechtsverletzung begreift, der übersieht also den entscheidenden Punkt: Ein freier politischer Diskurs im Ringen um Einzelinteressen und dem Wohl der Allgemeinheit kann nur dann wahrhaft frei sein, wenn er die Möglichkeit der Unwahrheit und Lüge duldet. Zum einen schon deshalb, weil gerade im Bereich des Politischen „Wahrheiten“ stets umkämpft und oft nur vorläufig sind, sie bisweilen auch schlicht von der Perspektive abhängen. Zum anderen ist die „geistige Freiheit, das Wirkliche zu akzeptieren oder zu verwerfen, ja oder nein zu sagen“ in Arendts Worten die Grundvoraussetzung des politischen Diskurses. Ein einklagbares Recht auf Wahrheit bedrohte somit in letzter Instanz die Voraussetzungen jener freiheitlichen Grundordnung, die die Initiatoren der Jeder Mensch-Kampagne doch eigentlich zu bewahren versuchen. •

  • E-Mail
  • Facebook
  • Linkedin
  • Twitter
  • Whatsapp
Anzeige
Tag - Body

Weitere Artikel

Artikel
2 min

Warum ist Hannah Arendt so beliebt?

Moritz Rudolph 28 Februar 2025

Ihr aristokratisches Politikverständnis liest sich wie ein Kommentar zur gegenwärtigen Lage.

Warum ist Hannah Arendt so beliebt?

Gespräch
10 min

Am Abgrund der Moderne

Catherine Newmark 09 Juli 2015

Hannah Arendt hat nicht nur die totalitäre Herrschaft analysiert, sondern auch die Traditionsbrüche beschrieben, die diese ermöglichte. Traditionsbrüche, die auch in Arendts eigenem Leben und Arbeiten Spuren hinterließen – und sie sehr sensibel für jegliche Gefahren in Demokratien machten. Was können wir heute noch in der Auseinandersetzung mit Arendts Arbeiten lernen? Ein Interview mit der Gründerin des Hannah Arendt-Zentrums Antonia Grunenberg.

Am Abgrund der Moderne

Gespräch
8 min

Malcom Ferdinand: „Wer der Umwelt helfen will, benötigt Respekt vor indigenen Gemeinschaften“

Fee Griebenow 22 Juni 2023

Für Malcom Ferdinand hängt die Klimakatastrophe direkt mit der Kolonialisierung indigener Bevölkerungen zusammen. Ein Gespräch über die Beziehung der Maroons – einer indigenen Gruppe, die der Sklaverei entkam – zur Natur und darüber, was wir von ihnen lernen sollten.

Haben wir moralisch versagt?

Impulse
5 min

Warum ist Hannah Arendt so beliebt?

Moritz Rudolph 27 Januar 2025

Hannah Arendts Denken ist über weite Teile offen, pluralistisch und radikaldemokratisch. Doch ein genauerer Blick in ihre Schriften zeigt, dass sie zugleich eine aristokratische Elite für unverzichtbar hielt. Ist gerade diese Spannung der Grund für ihre enorme Popularität?

Warum ist Hannah Arendt so beliebt?

Gespräch
10 min

Heimisch bleiben in einer Welt nach Auschwitz

Catherine Newmark 09 Juni 2016

Die These von der „Banalität des Bösen“ gehört zu den umstrittensten in Hannah Arendts Werk. Die Berliner Philosophin Susan Neiman erklärt, warum Arendts Buch über Eichmann für sie den wichtigsten Versuch einer Theodizee im 20. Jahrhundert darstellt.

Heimisch bleiben in einer Welt nach Auschwitz

Impulse
4 min

Arendts Bedenken am Mehrparteiensystem

Charles Perragin 09 April 2022

Warum spielen die etablierten Parteien in Frankreich kaum mehr eine Rolle? Weil sie nicht glaubhaft versichern können, dass sie im Interesse der Allgemeinheit handeln. Ihr Abstieg wurzelt, so Hannah Arendts These, im Mehrparteiensystem, das Bewegungen und Ideologie begünstigt und dem Etablierten misstraut.
 

Arendts Bedenken am Mehrparteiensystem

Artikel
8 min

Hannah Arendt und die Lüge

Eva Geulen 03 Januar 2025

Lügen gilt als unerhört, die Suche nach Wahrheit als nobel. Doch in der Politik verhält es sich mitunter umgekehrt, behauptete Hannah Arendt vor über 50 Jahren: Hier eröffnen Lügen Handlungsspielräume. Wahrheit ist dagegen despotisch.

Hannah Arendt und die Lüge

Artikel
17 min

Hannah Arendt in New York

Helena Schäfer 11 Mai 2023

Hannah Arendt fand nach Jahren auf der Flucht eine neue Heimat in New York. Wie sah Arendts Leben in der amerikanischen Metropole aus? Eine Reportage von Helena Schäfer über „das Mädchen aus der Fremde“, das in New York zu einer Philosophin von Weltrang wurde.

Hannah Arendt in New York

Anzeige
Tag - Body
Hier für unseren Newsletter anmelden!

In einer Woche kann eine ganze Menge passieren. Behalten Sie den Überblick und abonnieren Sie unseren Newsletter „Denkanstöße“. Dreimal in der Woche bekommen Sie die wichtigsten Impulse direkt in Ihre Inbox.


(Datenschutzhinweise)

Jetzt anmelden!
Anzeige
Tag - Body

Fils d'ariane

  1. Zur Startseite
  2. Artikel
  3. Nichts als die Wahrheit?
Philosophie Magazin Nr.Nr. 84 - September 2025
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
Oktober/ November Nr. 84
Vorschau
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
Rechtliches
  • Werbung
  • Datenschutzerklärung
  • Impressum
Soziale Netzwerke
  • Facebook
  • Instagram
  • Twitter
  • RSS
Philosophie Magazin
  • Über uns
  • Unsere App
  • PhiloMag+ Hilfe
  • Abonnieren

Mit unseren Denkanstößen philosophische Ideen regelmäßig in Ihrem Postfach

Jetzt anmelden!