Woher kommt der Ekel?
Angeboren oder antrainiert? Schutzmechanismus oder Instrument politischer Ideologien? Drei Positionen zum umstrittenen Ursprung eines wohlbekannten Gefühls.
Verdrängung der Lust
Sigmund Freud
1856 – 1939
Während Lust sich durch ein Hingezogensein auszeichnet, lässt Ekel uns zurückschrecken und vom ekelerregenden Objekt Abstand nehmen. Horrorfilme, Riesenspinnen und Körperflüssigkeiten üben jedoch bisweilen eine geradezu abstoßende Anziehungskraft aus. Dieses Paradox erklärt Freud folgendermaßen: Ursprünglich empfinden Kinder die Beschäftigung mit Insekten und den eigenen Exkrementen als sexuell lustvoll. Dann jedoch werden sie dafür gemaßregelt und die Lust verkehrt sich in Ekel. Durch die Erziehung zur Sauberkeit wird der Ekel „daran beteiligt, den Trieb innerhalb der als normal geltenden Schranken zu halten“. Beim heimlich-genussvollen Ausdrücken von Pickeln und der Faszination durch obszöne Filmszenen ereifert sich noch im Erwachsenenalter die Lust in der Überwindung des Ekels.
Existenzielle Absurdität
Jean-Paul Sartre
1905 – 1980
In seinem Roman Der Ekel beschreibt der Existenzialist Ekel als Erfahrung des nackten, nicht in einem Sinnzusammenhang stehenden Seins. Der Protagonist, Antoine Roquentin, berichtet von einer „süßlichen Übelkeit“, die ihn beim Betasten eines Kieselsteins überkommt. Die Lebendigkeit, die er in allen Dingen wahrnimmt, löst in ihm immer häufiger und schließlich unentwegt Ekel aus. Ein Blatt Papier, eine Wurzel und seine verflossene Geliebte, sogar seine eigene Hand scheinen ihn abzustoßen. Der Ekel, der ihn von sich selbst und der Welt entfremdet, entspringt dem Grauen vor der Absurdität der Existenz, das nur durch eigene Sinnstiftung zurückgedrängt werden kann.
Unmögliches Streben nach Reinheit
Martha Nussbaum
*1947
Die Philosophin sieht einen Zusammenhang zwischen Ekel und diskriminierenden Formen der Rechtsprechung. Ekel sei die Angst vor der menschlichen Verwundbarkeit. In Reaktion auf sinnlich wahrnehmbare „primäre Objekte des Abscheus“ wie Exkremente schützt er uns vor Gefahren. Ekel diene jedoch auch als Begründung für die Kriminalisierung von Homosexualität und die Konstruktion nationalsozialistischer Reinheitsideologien. In diesen Fällen werde die existenzielle Furcht als Abgrenzungsmechanismus nach außen projiziert. Um die moralische Gefährdung einzuschränken, die von ihm ausgeht, sollte Ekel, so Nussbaums Appell, niemals Grundlage öffentlichen Rechts werden. •