Die Sache mit dem Taschentuch
Dass Fürsorge mit Verbrauch und Egozentrik mit Nachhaltigkeit einherzugehen vermag, zeigt sich an der Art, wie wir uns schnäuzen. Papier oder Stoff? Das ist hier die Frage, meint Wolfram Eilenberger.
Zu den schönsten Gesten modernen Miteinanders zählt es, dem geplagten Gegenüber dezent ein frisches Papiertaschentuch zu reichen: „Nimm und schnäuz!“, lautet dann die stille Botschaft. „Lass alles raus. Atme, denke, sei … endlich wieder frei!“, der hoffnungsfrohe Wunsch. Wahrlich, wer Tempos stecket, der Tage rettet!
Mag das Problem Rotznase auch so alt sein wie der Mensch, für die beschriebene Form lindernder Zuwendung gilt dies keineswegs. Kaum zu glauben, aber als Hygieneartikel ist das Papiertaschentuch keine hundert Jahre unter uns. Sein globaler Siegeszug liegt gar nur fünfzig Jahre zurück. Zellstoffbasiert, wie es nun einmal ist, bleibt es seitdem für umfassendste Waldrodungen sowie forstwirtschaftliche Monokulturen verantwortlich. Die ökologische Bilanz der übrigens deutschen Innovation – o Tempos, o mores! –, sie zeigt sich alles andere als blütenweiß.
Schon in wenigen Jahren mag sie deshalb wieder aus unserem Alltag verschwunden sein. Ein anderes Schnäuzen war und ist schließlich möglich. Ressourcenschonend und wiederverwendbar, verpackungsfrei und individualisierend, unisex und vielfarbig – gern auch hipstergerecht ohne wöchentlichen Vollwaschgang zu verwenden. Kurz, die Diskussion zwischen Papier- oder aber Stofftaschentuch, Kleenex oder Karo steht im Begriff, gesamtgesellschaftlich viral zu gehen.
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