Goethe in sechs Konzepten
Eine ganze Epoche wurde nach ihm benannt. Johann Wolfgang von Goethe, der heute vor 191 Jahren starb, dominierte das Geistesleben seiner Zeit. Wir stellen einige seiner wichtigsten Konzepte bündig vor.
Vermittlung, Mittler, Mitte und das Dritte
Vermittlung besteht für Goethe nicht darin, aus einem Gegensatz eine Einheit herzustellen. Stattdessen ist die Einheit für Goethe vorab gegeben und der Gegensatz das eigentlich zu Konstruierende. Figuren der „Vermittlung“ zwischen Gegensätzen haben Goethe zeitlebens beschäftigt. Sie erscheinen unter zahlreichen Namen: Der Versuch etwa fungiert als Mittler von Subjekt und Objekt, der Schein als Mittler von Wahrheit und Lüge, die Manier als ästhetischer Mittler von Einzelnem und Allgemeinem, der Gesang als Mittler von Okzident und Orient und der Augenblick als Berührung von Vergangenheit und Zukunft. Goethes Grundposition besteht zunächst in einer Absage gegenüber der Vorstellung, Gegensätze ließen sich einfach ausgleichen und zu einer Einheit vermischen. Zurückgewiesen wird diese naive Vorstellung der Vermittlung etwa im Roman Die Wahlverwandtschaften, in dem ein wohlmeinender Mann namens Mittler als Eheberater fungiert und Katastrophen bewirkt. Stattdessen privilegiert Goethe in seinen früheren Schriften bis etwa 1790 derartige Vermittlungen, die als Drittes zwischen den Gegensätzen zu stehen kommen, ohne sie in eine Einheit zu überführen. Doch ab etwa 1790 dreht Goethe das Verhältnis um. Er geht nun davon aus, dass die Gegensätze in der Regel nicht schlicht vorliegen, sondern erst gewonnen werden müssen. Statt den zu vermittelnden Gegensätzen liegt uns die Mitte vor. In dieser Mitte liegen alle möglichen Gegensätze verborgen. So finden wir in einer jeden Pflanze, die wir betrachten, sowohl ihre spezifischen Eigenschaften als auch die allgemeinen Merkmale von Pflanze vermischt vor. Aufgabe des Betrachters ist es, diese Mitte in Richtung von polaren Paaren wie das Einzelne und das Allgemeine aufzuspannen. Das vormals Dritte ist Goethe zu einem Ersten geworden. Diese Auseinandersetzung mit Figuren der Synthese hat Goethe die Annäherung an Schelling und dessen Naturlehre erlaubt.
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