Kirstin Munro: „Man kann die Gesellschaft nicht in kleine Stücke zerlegen“
Marx entzauberte Kategorien wie Arbeit und Tausch und stellte sich damit gegen die Politischen Ökonomen seiner Zeit. Zugleich teilte er ihre Einsicht, Wirtschaft sei nur als Teil von Gesellschaft zu verstehen. Daran sollten wir anschließen, meint Kirstin Munro.
Beginnen wir mit einer großen Frage: War Marx ein Ökonom oder ein Philosoph?
Das ist eine Frage, die von Wissenschaftshistorikern diskutiert wird, und sie geben verschiedene Antworten. Aber ich denke, das ist nebensächlich. Diese Idee, dass es unterschiedliche, klar voneinander abzugrenzende akademische Disziplinen gibt, ist relativ neu. Ein Problem damit ist, dass es unmöglich wird, die Gesellschaft als Ganzes zu untersuchen – und genau das ist es, was Marx versuchte. Man kann die Gesellschaft nicht in kleine Stücke zerlegen! Wenn wir die Politischen Ökonomen betrachten, die Marx studierte, sehen wir, dass auch sie über Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften und Astronomie geschrieben haben, ebenso wie die Philosophen, die Marx studierte. Nehmen wir Adam Smith und Hegel: Beide versuchten, Naturgesetze zu identifizieren, welche die historische und soziale Entwicklung bestimmen, und sie teilten das Ziel, die Gesellschaft so zu reformieren, dass sie diesen Prinzipien der Vernunft entspricht. Die Tatsache, dass sie dies versuchten, indem sie dieses oder jenes Thema untersuchten, ist eher irrelevant. Sie waren an der gleichen Art intellektueller Aufgabe interessiert: der Entdeckung von Naturgesetzen.
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