Küss mich, KI!
Der Fortschritt der Technik lässt unsere Beziehungen nicht unberührt: Sexroboter offerieren neue Formen der Befriedigung, Chatbots versprechen emotionale Nähe, quasi auf Knopfdruck. Kann die KI uns dadurch bieten, was wir sonst so schmerzlich vermissen – etwas mehr Leichtigkeit bei der Suche nach Intimität?
In meinem Freundeskreis existiert seit einiger Zeit ein neuer Begriff: „social battery“. Was er besagt: Soziale Interaktionen sind anstrengend, energieraubend. Es wird zu einer Frage der Abwägung, mit wem man wann wie viel interagiert, um sich selbst und seinem Gegenüber gerecht zu werden. Vor allem die Partnerwahl scheint damit zur nahezu unlösbaren Aufgabe zu werden. Wie jemanden finden, der den Akku auflädt, anstatt ihn weiter zu entladen? Ideal wäre wohl jemand, der sich – frei von menschlichem Eigensinn – ganz auf mich und meine Bedürfnisse einzulassen vermag. Jemand, auf den ich nicht noch zusätzlich Rücksicht nehmen muss und der mich perfekt ergänzt. Der alte Traum einer technischen Schöpfungskraft, die genau das hervorzubringen weiß, müsste in Zeiten der „social battery“ damit so aktuell sein wie nie zuvor.
Es sollte also nicht überraschen, wenn die künstliche Intelligenz in unsere sozialen Beziehungen zunehmend Einzug erhielte. Und tatsächlich: Eingespeist in humanoide Roboter oder virtuelle Chatbot-Freunde können wir seit einiger Zeit auf KI treffen, die Objekte zum Leben erweckt. Es entsteht ein neues Gegenüber, das mit uns kommuniziert, auf das wir emotional reagieren und in dem wir sogar Liebe oder körperliche Nähe zu suchen scheinen. Worin genau aber liegt der Reiz einer solchen Beziehung? Ich möchte verstehen, was uns dazu bewegt, die Nähe zu einer KI zu suchen, und wie man sich das, ganz ohne Science-Fiction, überhaupt vorstellen kann. Wie lässt sich unser Begehren nach emotionaler oder körperlicher Intimität begreifen, wenn es auf ein künstliches Gegenüber gerichtet ist? Was begehren wir wirklich?
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