Robin D. G. Kelley: „Die Plantage ist die erste moderne Fabrik“
Kapitalismus ohne Rassismus gibt es nicht, betont der Historiker Robin D. G. Kelley. Während Marx fast nur über weiße Industriearbeiter in Großstädten schrieb, gilt es, den Blick zu weiten – für Versklavung, Enteignung und Ausbeutung schwarzer Menschen und ihren Widerstand.
Als Professor an der University of California in Los Angeles haben Sie die Waldbrände zu Beginn des Jahres aus nächster Nähe erlebt – ebenso wie die schwarze und lateinamerikanische Bevölkerung, die überproportional davon betroffen war. Wie blicken Sie auf die Ereignisse?
Das Viertel Altadena, in dem ich meine Schulzeit verbrachte, wurde zerstört. Auch unser ehemaliges Haus ist völlig niedergebrannt. Dahinter liegt eine materialistische Geschichte des Viertels, die verdeutlicht, wie Rassismus Kapital strukturiert. Kurz gesagt: Altadena war lange Zeit eine weiße Enklave, bis in den 1970ern eine Klage gegen den Schulbezirk wegen Segregation eingereicht wurde. Das führte dazu, dass die Schulen des Bezirks desegregiert werden mussten. Viele weiße Bewohner zogen daraufhin weg, was die Immobilienpreise drückte. Das ist ein typischer Mechanismus des Racial Capitalism: Der Wert von Eigentum wird nach rassifizierten Kriterien unterschiedlich festgelegt. Häuser von weißen Menschen sind mehr wert als die von Schwarzen. Das bringt uns zu den aktuellen Bränden: Viele Bewohner Altadenas erhielten nur einen Monat vor den Bränden die Kündigung ihrer Feuerversicherung, weil ihre Häuser in einer Gefahrenzone liegen. Dadurch haben Hausbesitzer alles verloren. Gleichzeitig versuchen Private-Equity-Firmen wie BlackRock, sich die verwüsteten Gebiete einzuverleiben und sie in ein „neues Beverly Hills“ zu verwandeln. Die zentrale Erkenntnis daraus: Kapitalismus agiert nicht neutral, sondern differenziert nach race und gender.
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