Erich Fromm und der Narzissmus
Erich Fromm interessierte sich für die Frage, wie Gesellschaft das Verhalten des Menschen prägt. Das gilt auch für den Narzissmus. Wie hätte der Psychoanalytiker auf unsere Gegenwart geschaut?
Meist versteht man unter einem Narzissten eine selbstverliebte Person, oft auch eine bestimmte Art von Eitelkeit oder Egomanie. Eigenartigerweise wendet man den Begriff „Narzissmus“ aber so gut wie nie auf sich selbst an. Seltsam: Im Blick auf die eigene Person spielt Narzissmus kaum eine Rolle, und doch ist er heute in aller Munde – nämlich beim Urteil über jemand anderen: „Das ist ja ein Narzisst, wie er im Buche steht!“
In welchem Buch? Manche schauen in einem ganz alten Buch nach. In Ovids Metamorphosen ist von dem Jüngling Narziss die Rede, der sich in sein Spiegelbild verliebt und daran schließlich zugrunde geht. Die mythologische Erzählung deutet bereits an, dass Narzissmus etwas mit einem Verlust des Interesses an anderen und letztlich auch an sich selbst zu tun hat, was einen selbst herbeigeführten Tod zur Folge haben kann.
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Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.