Saba-Nur Cheema und Meron Mendel: „Diese Ehe ist kein Friedensprojekt“
Seit nunmehr einem Jahr reißt die Dramatik des Nahostkonflikts Gräben in den öffentlichen Diskurs. Als muslimisch-jüdisches Paar schlagen Saba-Nur Cheema und Meron Mendel ihre eigene, seltene Brücke. Ein Gespräch über das Zusammenfinden in der Differenz – im Öffentlichen wie Privaten.
Frau Cheema, Herr Mendel, Ihr Buch Muslimisch-jüdisches Abendbrot trägt den Untertitel Das Miteinander in Zeiten der Polarisierung. Wie nehmen Sie als muslimisch- jüdisches Paar diese Polarisierung wahr?
Meron Mendel: Mit Blick auf den 7. Oktober 2023, das Massaker der Hamas, spüren wir die Polarisierung in der öffentlichen Debatte sehr stark. Wir befinden uns sozusagen im Epizentrum dieser Diskussionen. Und dort zeigt sich die Polarisierung durch einen Konformitätsdruck, der von der eigenen Community ausgeht. Wenn ich Positionen zum Ausdruck bringe, die dem jüdischen Mainstream nicht gefallen, wird mir sofort Verrat vorgeworfen. Auch Saba erlebt das. In „netter“ Form heißt es dann: „Die Arme, sie kann ihre ehrliche Meinung nicht äußern, weil sie mit einem Israeli verheiratet ist.“ In anderen Fällen wird sie als „zionistische Schlampe“ beschimpft, man spricht ihr das Muslimisch-Sein ab. Vor allem in den sozialen Medien sind keine differenzierten Positionen möglich. Man bekommt sofort einen Stempel aufgedrückt, dass man „mit dem Feind kooperiert“.
Saba-Nur Cheema: Wir wollen damit aber nicht sagen, dass die Gesellschaft insgesamt gespalten sei. Natürlich gibt es mit Blick auf den Nahostkonflikt diese Einteilung in proisraelische und propalästinensische Lager in der öffentlichen Debatte. Aber das repräsentiert nicht die Gesellschaft. Viele Menschen besitzen sehr viel differenziertere Positionen. Aber sie verspüren einen moralischen Druck, sich auf der einen oder anderen Seite positionieren zu müssen. Und dieser Druck verstärkt sich durch die mediale Logik – besonders in den sozialen Medien –, indem oft Schwarz-Weiß-Positionen deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Sind Sie im Miteinander frei von diesen Lasten des öffentlichen Diskurses? Das heißt: Gelingt Ihnen der produktive Dialog trotz eigener Betroffenheit durch die Themen?
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