Fehlgeleitete Kritik aus Berlin
In einem „Brief aus Berlin“ kritisieren Wissenschaftler die Reaktion der Bundesregierung auf den Nahostkonflikt und den Umgang der Berliner Regierung mit Demonstranten. Die Kritik sei jedoch zu undifferenziert und tatsachenverzerrend, so Christian Thein in einem Gastbeitrag.
Seit Ende Oktober kursiert ein „Brief aus Berlin“ durch die mediale Öffentlichkeit, der sich wortgewaltig und intendiert kritisch einer Vielzahl von Themen zuwendet, die im Zusammenhang stehen mit den Reaktionen einer als „deutsch“ markierten Öffentlichkeit und Politik auf die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten. Wie der Tagesspiegel in einer am 1. November veröffentlichten Vorstellung des Anliegens zusammenfasste, sei die Hauptintention des als „offen“ deklarierten Briefes eine Kritik von Demonstrationsverboten gegenüber sich „mit der Zivilbevölkerung in Gaza solidarisierenden propalästinensischen Demonstrationen“. Der Aufruf konzentriere sich auf eine verfehlte Berliner Landespolitik und rufe im Kern zu einem Mehr an demokratischer Bildungs- und Aufklärungsarbeit und einem Weniger an repressiven Maßnahmen im Berliner Bezirk Neukölln auf.
Einleuchtend an diesen Überlegungen scheint die Einsicht, dass Sanktionen und Verbote kein übergreifend nachhaltiges Konzept für die Antisemitismusprävention auf den Straßen und in den Schulen darstellen. Auch der Aufruf zu „Verständnis für die Vielfalt jüdischen Lebens“ stößt ersteindrücklich bei den Lesern auf wohlwollende Zustimmung – worauf sonst sollte die kritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Denkweisen und Handlungsformen abzielen, als darauf, Intoleranz und Vorurteile durch Toleranz zu ersetzen?
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