Die Philosophen und der Nationalsozialismus
Sonderausgabe 3 - 2014Hat die Philosophie den nationalsozialistischen Terror gedanklich vorbereitet, mitgedacht, gar erst ermöglicht? Oder stand sie in scharfer Opposition zur Gewaltideologie der Hitlerzeit? Besteht überhaupt eine wesentliche Verbindung zwischen Philosophie und Nationalsozialismus?
Weshalb ausgerechnet das Volk der „Dichter und Denker“ dem nationalsozialistischen Wahn verfallen konnte und mit der Massenvernichtung des europäischen Judentums zum Volk der Täter wurde, ist eine noch immer kaum zu beantwortende Frage und bildet einen bleibenden Zweifel deutscher Identität.
Erinnerungsarbeit ist genau darum in Deutschland eine nie abschließbare Aufgabe. In diesem Gedenkjahr 2015 – und auf viele Jahre in die Zukunft hinein.
Themen der Sonderausgabe:
Wege in den Nationalsozialismus
Das Volk der Dichter und Denker ist auch das Volk des Nationalsozialismus. Doch welche Verbindung besteht zwischen der deutschen Philosophie und der Weltanschauung der Nazis? Führt ein direkter Weg von Herders ‚Volksseele’zum kriegerischen Traum vom Großdeutschen Reich, von Nietzsches Willen zur Macht zum Führerprinzip, von Wagners Kulturkritik zu Hitlers manischem Judenhass?
Mit Beiträgen von Heinz Wismann, Per Leo, Volker Gerhardt und Barbara Zehnpfennig
Denken in verbrecherischer Zeit
Die nur 25 Jahre von der Gründung der NSDAP bis zur bedingungslosen Kapitulation von Nazideutschland bedeuten einen Tiefpunkt in der europäischen Geschichte. Der Weltkrieg verheert Europa, 6 Millionen Juden werden systematisch vernichtet, Deutschland zerstört sich im totalen Krieg. Wie die folgenden Originaltexte eindrücklich vermitteln, sind die Philosophen dieser Epoche meist mehr als nur Zeitzeugen. Viele werden ins Exil gezwungen oder ermordet, wenige leisten aktiv Widerstand, die Mehrheit aber dient sich dem Regime an.
Originaltexte u.a. von Ernst Bloch, Thomas Mann, Simone Weil, Leo Trotzki, Albert Einstein, Karl Kraus, Emmanuel Lévinas, Carl Schmitt, Walter Benjamin, Leo Strauss, Hannah Arendt, John Dewey und Victor Klemperer sowie Beiträge von Catherine Newmark, Jacques Taminiaux, Sidonie Kellerer und Hans Jörg Sandkühler
Nach der Katastrophe
Mit dem Ende der Naziherrschaft sieht die Welt in einen Abgrund. Der Holocaust ist ein Einschnitt in die Geschichte der Menschheit und ein metaphysischer Schock: Wie konnte Gott Auschwitz zulassen? Hat die Vernunft versagt? Wie kann das Volk der Täter mit seiner epochalen Schuld umgehen? Wie die Opfer ihm vergeben?
Originaltexte u.a. von Karl Jaspers, Hannah Arendt, Jean Améry, Theodor W. Adorno und Giorgio Agamben sowie Beiträge von Noémie Issan-Benchimol, Élisabeth de Fontenay und Aleida Assmann
Inhalt
Wege in den Nationalsozialismus
Grundbegriffe national-sozialistischen Denkens
„Die Idee der Volksgemeinschaft war das geistige Zentrum der Bewegung“ Interview mit Heinz Wismann
Die Kultivierung des Hasses
von Per Leo
Der Wille zur Macht
Nietzsche im Nationalsozialismus
Interview mit Volker Gerhardt
Hitlers Weltanschauung
Interview mit Barbara Zehnpfennig
Denken in verbrecherischer Zeit
Aufstieg der NSDAP 1920–1932
Gemeinschaft ist alles
Ernst Krieck
Der Sozialismus der dummen Kerle
Ernst Bloch
Metaphysik für Helden
Othmar Spann
Vergiftete Atmosphäre: die Davoser Disputation zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger
von Catherine Newmark
Ist dieser Fanatismus deutsch?
Thomas Mann
Verführte Jugend
Jean Cavaillès
Unheimliche Passivität
Simone Weil
Machtergreifung 1933–1938
Dilettantische Rassentheorie
Leo Trotzki
Gleichschaltung ohne Widerstand
Albert Einstein
Treuhänder des Wahns
Karl Kraus
Hitlerismus als Seuche
Emmanuel Lévinas
Unterwegs zur Rassenaristokratie
Erich Rothacker
„Der Führer schützt das Recht“
Carl Schmitt
Die „verspätete Nation“
Helmuth Plessner
Die Kriegsjahre
1939–1945
Das Gedächtnis der Unterlegenen
Walter Benjamin
Krieg der Werte
Leo Strauss
Die Gesetze des Teufels
Hannah Arendt
Gegen die Verknechtung Europas
Kurt Huber
Blinde Pflichterfüllung
John Dewey
Der Mythus als Waffe
Ernst Cassirer
Der Terror der Einheitssprache
Victor Klemperer
Unheimliche Kontinuität:
NS-Philosophen
in der BRD
„Kaum einer, der sich nicht angepasst hätte“
Interview mit Hans Jörg Sandkühler
DER FALL HEIDEGGER
„Heidegger war ein autoritärer Denker“
Interview mit Jacques Taminiaux
Dem Prinzip nach ein Nationalsozialist
Karl Löwith
Heideggers verbogene Wahrheiten und die „Schwarzen Hefte“
von Sidonie Kellerer
Nach der
Katastrophe
Die Schuldfrage – Ein Volk von Tätern?
Unser Mitläufertum
Karl Jaspers
Eichmann und die Banalität des Bösen
Hannah Arendt
„Radikal ist immer nur das Gute“
Hannah Arendt und Gershom
Scholem
Ein metaphysisches
Verbrechen
Vladimir Jankélévitch
Den Abgrund denken
Erschüttertes Weltvertrauen
Jean Améry
Warum Gott schwieg
Hans Jonas
Rettung des Unaussprechlichen. Jüdische Theologie nach der Schoah
von Noémie Issan-Benchimol
Todesfuge
Paul Celan
Nach Auschwitz Gedichte schreiben
Theodor W. Adorno
Auschwitz als Metapher
Das Lager ist die Matrix der Moderne
Giorgio Agamben
Tiere – Opfer ohne Stimme
Élisabeth de Fontenay
Erinnerungskultur
„Erinnerung lässt sich nicht verordnen“ – Warum die Arbeit an der eigenen Geschichte eine notwendige Aufgabe bleibt
Interview mit Aleida Assmann