Die Bibel und die Philosophen
Sonderausgabe 7 - 2016Das Alte Testament ist das heilige Buch sowohl für Juden als auch für Christen, und bietet wahrlich eine spannende und dramatische Lektüre.
Aber ist es auch philosophisch interessant? Schließlich trägt das philosophische Fragen in sich seit jeher eine Tendenz vom Religiösen weg: Wenn Glauben archetypisch Passivität und Hingabe bedeutet, so steht die Philosophie umgekehrt für die Selbstermächtigung des Menschen durch Vernunft, hin zu Aktivität und Freiheit.
Doch die Bibel, die als historischer Text auch ohne religiösen Einsatz gelesen werden kann, wirft auch eindeutig philosophische Fragen auf: Wie lässt sich der Anfang der Welt denken? Was ist der Mensch? Was passiert da, wo die Vernunft an ihre Grenzen gelangt? Wie umgehen mit einander widersprechenden ethischen Forderungen? Wie an das Gute, an eine gerechte Ordnung glauben, ja, an einen Gott überhaupt, wenn wir täglich von unfassbarem Unrecht umgeben sind? Diese Fragen werden in der Bibel gerade durch die ungeheuere Fallhöhe zwischen postulierter göttlicher Allmacht und menschlicher Endlichkeit sehr tief und sehr dringlich. Die hier versammelten philosophischen Lektüren zeigen: Das Alte Testament ist auch ein ungeheuer bezugsreicher Denkraum, ein Raum für Philosophie.
Genesis – Erzählungen vom Anfang
Von der Schöpfung zum Sündenfall, vom ersten Mord der Menschheit bis zur maximalen Strafe der Sintflut, von der Hybris beim Turmbau zu Babel bis zur entsetzlichen Forderung nach einem Menschenopfer – das erste Buch Mose erzählt in rascher Abfolge eine Reihe von hochdramatischen Geschichten, die fundamentale Fragen der Ethik und der Metaphysik berühren: Hätte Gott die Welt auch nicht schaffen können?
Mit Texten von u.a. Saskia Wendel, Søren Kierkegaard und Voltaire.
Bild: Turmbau zu Babel, Bruegel
Das Volk Israel und seine Gesetze
Von Mose aus der Sklaverei in Ägypten befreit, wird das Volk Israel zu einer Nation unter dem Gesetz des einen, einzigen Gottes. Fern und nah zugleich bleibt die Hoffnung auf das versprochene Gelobte Land. Diese Geschichten erzählen von der politischen Befreiung ebenso wie von der Mühsal ihrer Erlangung. Und von dem innigen Verhältnis von Freiheit und Transzendenz.
Mit Texten von u.a. Omri Boehm, Michael Walzer, Immanuel Kant und Emmanuel Lévinas.
Bild: Opferung Isaacs, Caravaggio
Propheten – Erfinder der Geschichte
Gott gebietet den Menschen in Gestalt seiner Gesetze – und mit Hilfe der Propheten. Sie sind die Erfinder nicht nur einer Geschichtsschreibung in die Zukunft hin, sondern auch der Heilsgeschichte, die von Beginn und Ende der Welt spricht. Sie repräsentieren das Imaginäre, sind Hüter der göttlichen Ordnung und geben Kund von der bedrohlichen Möglichkeit des Eingreifen Gottes in die Welt.
Mit Texten von u.a. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Leo Strauss, Max Weber und Gershom Scholem.
Bild: Der Prophet Jeremiah, Vernet
Weisheitsbücher – Leib, Schmerz, Endlichkeit
In den poetischen Schriften und Weisheitsbüchern finden sich intensive philosophische Reflexionen über die Conditio humana, über die Endlichkeit des Menschen, über den Zustand der Welt und ihr Verhältnis zu Gott. Vom leidenden Menschen, Hiob, der Gottes Gerechtigkeit infrage stellt, bis zur unübertrefflich sinnlichen Liebeslyrik des Hohelieds erörtern diese Texte Grundbegriffe menschlichen Denkens und Empfindens.
Mit Texten von u.a. Christoph Markschies, Margarete Susman, Meister Eckhart und Johann Gottfried Herder.
Bild: Hiob, Bennat
Inhalt
Intro
- Editorial
- Impressum / Denker
- „Warum sollten Philosophen die Bibel lesen?“
Interview mit Susan Neiman - Chronologien
Genesis – Erzählungen vom Anfang
- „Gott hätte die Welt auch nicht schaffen können“
Interview mit Saskia Wendel
Die Schöpfung
- Allzu genau datiert
Hans Blumenberg - Unbedingte Kreativität
Gershom Scholem
Paradies und Sündenfall
- Befreiung vom Instinkt
Immanuel Kant - Denkt nicht, gehorcht!
Thomas Hobbes - Die Angst des Unschuldigen
Søren Kierkegaard - Metaphysischer Masochismus
Peter Sloterdijk - Wir erben die Strafe, nicht die Schuld
Elie Wiesel
Kain und Abel
- Tödlicher Bruderhass
Aurelius Augustinus - Am Anfang steht Gewalt
Hannah Arendt
Die Sintflut
- Der Regenbogen als göttliche Gedächtnisstütze
Rémi Brague - Regionale Flut oder globale Vernichtung?
Johann Gottfried Herder
Der Turmbau zu Babel
- Der Verlust der göttlichen Sprache
Walter Benjamin - Lob der Vielheit
Umberto Eco
Das Opfer Abrahams
- Alles aufgeben für Gott
Georg Wilhelm Friedrich Hegel - Paradox des Glaubens
Søren Kierkegaard - Bedeutsames Schweigen
Erich Auerbach
Josef in Ägypten
- Geniales orientalisches Märchen
Voltaire
Das Volk Israel und seine Gesetze
- „Die Idee des auserwählten Volkes bleibt problematisch“
Interview mit Omri Boehm
Der Brennende Dornbusch
- Ewig und wandelbar
Stéphane Mosès - Gott ist alles, was er sein kann
Friedrich Joseph Wilhelm Schelling
Die Teilung des Roten Meeres
- Die Mutter aller Freiheitsbewegungen
Michael Walzer
Die Zehn Gebote
- Politische, nicht ethische Normen
Immanuel Kant - Religion als Quelle des Rechts
Martin Buber - Bilderverbot ist Triebverzicht
Sigmund Freud - Die Urdifferenz von wahr und falsch
Jan Assmann - Moses hat Israel erschaffen
Heinrich Heine
Auge um Auge
- Die Geburt der Gerechtigkeit
Emmanuel Lévinas
Propheten – Erfinder der Geschichte
- „Ohne Apokalypse kein Fortschritt“
Interview mit Wilhelm Schmidt-Biggemann
Baal gegen Jahwe
- Ein innerjüdischer Kampf
Martin Buber
Die Auserwählten
- Nichts als Einbildungen
Baruch de Spinoza - Prophetie liegt in der Natur des Menschen
Leo Strauss - Alles andere als unvernünftig
Maimonides - Vermittelte Unmittelbarkeit
Franz Rosenzweig - Ganz Ohr
Max Weber
Jona
- Jenseits der Prognose
Gershom Scholem
Weisheitsbücher – Leib, Schmerz, Endlichkeit
- „Gott hat einen Körper, aber kein Geschlecht“
Interview mit Christoph Markschies
Hiob
- Überdosis Zweifel
Heinrich Heine - Das grenzenlose Leiden der Schuldlosen
Margarete Susman - Frühe Sozialkritik
Ernst Bloch - Der Allmächtige nach Auschwitz
Hans Jonas
Der Prediger
- Bejahung unserer Endlichkeit
Franz Rosenzweig
Das Lied der Lieder
- Zwiegespräch mit dem Höchsten
Meister Eckhart - Deute nicht, fühle!
Johann Gottfried Herder - Liebe weist über den Menschen hinaus
Franz Rosenzweig - Die Lutherbibel
„Der Luther-Sound ist zum Inbegriff religiöser Sprache geworden“ - Interview mit Christoph Levin
- Literatur