5 Fragen an Shila Behjat
In Ihrem Buch beschreibt Shila Behjat wie Frauen weltweit an der Spitze von Demokratiebewegungen stehen und damit eine neue Ära politischer Teilhabe einläuten. Dabei kämpfen sie nicht nur für Frauenrechte, sondern für eine inklusivere, gerechtere Gesellschaft.
Liebe Shila Behjat, dein Buch heißt Frauen und Revolution und widmet sich einem auffälligen Phänomen, das wir seit einer Weile vielerorts beobachten können: Große Demokratiebewegungen und Revolutionen werden von Frauen angeführt. Welches sind die wichtigsten Bewegungen dieser Art?
Mich haben vor allem die von Frauen angeführten Demokratiebewegungen im Iran, im Sudan, in Belarus und in Polen interessiert. Früher gab es die Frauenbewegung und den Kampf um Demokratie, bei dem Frauen dabei waren, aber oftmals auch im Stich gelassen worden sind, wenn es dann konkret um die Etablierung neuer Machtverhältnisse ging. Heute gibt es Frauen, die Demokratiebewegungen anführen. Das ist für mich eine historische Zäsur. Und sie passiert natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern sie ist eingebettet in die sehr weiblich geprägte Klimabewegung, in den Kampf gegen islamistische Kräfte wie den sogenannten IS, den vor allem auch Frauen führen, oder all die Graswurzelprojekte etwa in den USA, die versuchen, dennoch für Zusammenhalt und demokratischen Gemeinsinn zu sorgen.
Gibt es etwas, das diese Bewegungen gemeinsam haben und das sie in besonderer Weise auszeichnet?
Ich war selbst erstaunt, denn ja: es sind eben nicht nur von Frauen geführte Revolutionen. Sondern diese Bewegungen vereint auch, dass sie fast deckungsgleiche Konzepte und Prinzipien vorantragen. Die Rolle von Minderheiten etwa. Hier sind Minderheiten kein Randthema, das es „zu lösen gilt“ sondern ihre Anliegen stehen im Zentrum. Weil von den Minderheiten aus gedacht erst gleiche Teilhabe und damit stabile Gesellschaften entstehen können. Oder aber ein absolutes Commitment zu Non-Violence. Der Widerstand, so sagen sie es alle, muss gewaltfrei bleiben, um so eine Alternative zur omnipräsenten Gewalt der Machthaber zu bieten. Und damit die Vision für eine andere Gesellschaft.
Wir erleben auch in den sogenannten westlichen Staaten gerade allenthalben, dass demokratische Werte unter Beschuss geraten. Welche Bedeutung haben diese von Frauen geführten Bewegungen rund um den Globus vor diesem Hintergrund?
Genau diese: dass diese Bewegungen im sogenannten Westen eben nicht gleichermaßen zentral sind. Sondern dort, wo vom „Westen“ aus gesehen, Frauenrechte und Demokratie als unterentwickelt gelten. Hier treten Akteurinnen auf den Plan mit einem rigorosen Bekenntnis zu Demokratie, jedoch in einer erneuerten Form, inklusiv, dynamisch, auf Kooperation ausgerichtet. Mit Frauen an der Spitze – nicht der Spitze der institutionellen Macht, sondern der Gestaltung der Veränderung. Diese dynamische Auffassung von Demokratie, dass es sich dabei um etwas handelt, das beim tagtäglichen Gespräch beginnt und in der Festschreibung von Gesetzen endet und sich dadurch ständig in Bewegung befindet, hat mich besonders beeindruckt.
Für dein Buch hast du mit einigen Protagonistinnen dieser Bewegungen gesprochen. Wer sind diese Frauen?
Beeindruckende Persönlichkeiten wie Alaa Salah, das Gesicht der Revolution im Sudan. Svetlana Tichanowskaja, eine der drei Frauen, die das belarussische Führungstrio gegen Diktator Lukaschenko formten. Masih Alinejad, eine der führenden Stimmen in der Iran-Revolution, die bereits mehrere Mordanschläge durch das iranische Regime überlebt hat. Fariba Balouch, die Stimme der Balutsch:innen, die sowohl durch den Regierung Pakistans als auch die der Islamischen Republik Iran unter Repressionen leiden. Oder aber Marta Lempart, die die Proteste in Polen mitanführte, die zum Ende der PiS-Regierung führten.
Wenn du die Arbeit der Frauen in deinem Buch kurz zusammenfassen müsstest: Was können wir von ihnen lernen?
Unterdrückung und Unfreiheit werden vor allem durch Angst aufrechterhalten und wer diese Angst überwindet, wird plötzlich zur Bedrohung für den Unterdrücker. Ohne Waffen, ohne institutionelle Macht, vor allem auch: weitgehend ohne Unterstützung aus dem Ausland haben diese Frauen die brutalsten Gewaltherrscher unserer Zeit herausgefordert. Autokraten, die es ja vor allem auch auf Frauenrechte abgesehen haben. Das lässt sich in seinem Ausmaß gar nicht in Gänze erfassen. Aber das muss an dieser Stelle als Merksatz ebenso festgehalten werden: Es war ein großes Versäumnis der Weltgemeinschaft, diese Bewegungen so derart im Stich gelassen zu haben. Oft gab es nichts als warme Worte, und manchmal nicht einmal das. •
Shila Behjat, 1982 geboren, ist Journalistin, Publizistin und Moderatorin mit deutschiranischen Wurzeln. Sie studierte Jura in Hamburg und Paris, war Korrespondentin in London, lebte als freie Journalistin in Indien und berichtete für das Frauenportal Aufeminin.com über Gleichstellung in der EU. Als Kulturredakteurin bei ARTE verantwortet sie Dokumentationen und neue Formate. 2024 erschien ihr vieldiskutiertes Debüt „Söhne großziehen als Feministin“.