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Bild: Alisa Anton (Unsplash)

Glosse

Am Nullpunkt des Saufens

Nils Markwardt veröffentlicht am 09 Dezember 2020 4 min

Glühwein hat dieser Tage ein Imageproblem, steht er doch im Verdacht, die Pandemie zu befeuern. Das ist nur bedingt plausibel. Dennoch muss ihm der Garaus gemacht werden. Aus ökonomischen, ethischen und metaphysischen Gründen. 

 

Deutschlands traditionellster Alkopop rutscht dieser Tage in eine tiefe Imagekrise. Oder genauer gesagt: noch tiefer. Denn Glühwein gilt vielen nun nicht mehr „nur“ als klebriger Treibstoff weihnachtlicher Druckbetankung und hyperglykämisches Nervengift, sondern steht jetzt auch im Verdacht, die Pandemie zu befeuern. Wer zuletzt durch hiesige Großstädte spazierte, konnte selbst beobachten, wie sich entlang der Glühwein-to-go-Stände blitzschnell gleichermaßen informelle wie deregulierte Schattenweihnachtsmärkte herausbildeten, sodass sich der adventliche Ausnahmezustand mitunter über ganze Straßenzüge erstreckte.

Liefen diese etwa in Heidelberg und Düsseldorf so weit aus dem Ruder, dass die Polizei mit Großaufgebot anrücken musste, meldeten sich nicht nur Karl Lauterbach und Jens Spahn mit glühweinkritischen Interventionen zu Wort, sondern Hamburg verhängte jüngst sogar ein Ausschankverbot für die ganze Stadt. Nun wäre solch einem Anti-Alkohol-Aktionismus unter normalen Umständen freilich mit äußerster Skepsis zu begegnen. Und selbst aus pandemischer Perspektive ist es zumindest zweifelhaft, ob es wirklich frischluftige Glühweinpulke sind, die die Pandemie treiben.

Aller Wahrscheinlichkeit nach dürften es vielmehr zu große Schulklassen oder volle Shopping-Center sein, die hier entscheidend sind. Und dennoch: So lange die zimtumwehten Zusammenrottungen in deutschen Innenstädten zumindest im Verdacht stehen, das Infektionsrisiko maßgeblich zu erhöhen, sollten alle Freunde der gastrosophischen Vernunft die machiavellistische Chuzpe besitzen und diese Gelegenheit beim Schopfe packen. Besteht doch die einmalige Chance, mit ausreichend dezisionistischer Kaltblütigkeit den Glühweinkochern wenigstens für diese Saison vollends den Stecker zu ziehen. Nach dem Motto: Wer gute Gründe hat, kann auch mit falschen Begründungen leben!

 

Weihnachtsmarktversagen

 

Glühweinfans mögen sich auf die antiken Wurzeln der heißen Gewürztunke berufen, dem sogenannten Conditium Paradoxum, mit dem sich die Leute schon vor Jahrtausenden ordentlich einen hinter die Rüstung gerömert haben, oder betonen, dass es ja auch ganz tolle Winzerglühweine gäbe. Allein, es ändert ja nichts daran, dass die zuckrige Adventspansche nun einmal den Nullpunkt des Saufens darstellt. Und das hat nicht nur mit dem Geschmack zu tun. Es stimmt zwar: Im Normalfall entfaltet Glühwein ein beißendes Aroma, das irgendwo zwischen abgestandener Fanta und Eigenurin liegt. Und wäre es nur das, könnte man getrost sagen: Das muss die Demokratie aushalten.

Neben dieser kulinarischen Komponente gibt es indes drei weitere, noch schwerwiegendere Gründe. Und um direkt Missverständnisse zu vermeiden: Glaubwürdige Glühweinkritik kann sich natürlich weder aus snobistischen Distinktionsbedürfnissen noch aus grinchigem Weihnachtshass speisen. Im Gegenteil. Wer gemeinhin ein ordentliches Gelage schätzt und auch gerne von adventlicher Atmosphäre umspielt wird, muss erst recht mit der gesellschaftlichen Normalisierung des Glühweins Schluss machen.

Der erste Grund ist ökonomischer Natur. Selbst wenn man erwärmten Alkohol nicht per se als kulinarisches Verbrechen empfindet, gibt es kaum ein Getränk, das, gemessen an der durchschnittlichen Qualität, so überteuert an die Verbraucher gebracht wird. Ein ähnliches Preis-Leistungs-Verhältnis findet sich vermutlich nur beim Brezel-Verkauf auf Open Air-Konzerten oder bei Großprojekten Andi Scheuers. Kurzum: Beim üblichen Glühweinvertrieb muss auch jedem Paläolibertärem buchstäblich in den Kopf schießen, dass Weihnachtsmarktversagen real ist.

 

Metaphysische Falle

 

Der zweite Grund ist ethischer Natur. Kein anderes Getränk schafft sich künstlich eine solch quasi-natürliche Anreizstruktur. Oder konkreter gesagt: Man steht freiwillig draußen in der Kälte herum, um sich dann mit Glühwein aufwärmen zu „müssen“. Ist der Weihnachtsmarkt deshalb seit jeher eine Art alkoholisches Perpteuum mobile, verwundert es auch nicht, dass er selbst die verstockteste IT-Abteilung bei der Betriebsfeier zur après-ski-artigen Eskalation motiviert.

Doch wo Besaufen zum thermodynamischen (Selbst-)Zwang degradiert wird, verhöhnt der Mensch, frei nach Hannah Arendt, eine seiner größten zivilisatorischen Errungenschaften: die Freiheit, sich frei zu betrinken. Denn der moralisch legitime Rausch ist stets nur der vollständig autonom gewählte. Wer sich hingegen halb-bewusst den Naturgewalten aussetzt, um sich alkoholisch selbst zu übertölpeln, hat es moralisch nicht verdient, sich einen auf die Lampe zu gießen.

Und daran schließt sich auch der dritte Grund an. Gerade weil sich das Outdoor-Besäufnis in dieser Weihnachtszeit für viele so alljährlich normal anfühlt, lässt es nicht nur den pandemischen Ernst der Lage vergessen, sondern offenbart sich auch als metaphysische Falle. Je schneller Alkohol- und Blutzuckergehalt beim glühweinseeligen Happening in die Höhe schießen, desto stärker versteigt sich der Mensch in die grundexistentielle Selbsttäuschung, er wäre kein zutiefst verletztliches Mängelwesen, das im Winter wärmenden Schutz braucht. Oder wie es einst der Praxisphilosoph Herbert Wehner formulierte: „Wer rausgeht, muß auch wieder reinkommen! Ich sage Ihnen Prost“. •

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