Das nackte Leben ukrainischer Leihmütter
Leihmütter sind körperliche Vehikel für ein neues Leben. Der Gebrauch ihrer Körper wird im Ukraine-Krieg auf drastische Weise sichtbar, meint die Philosophin Millay Hyatt.
Der Krieg in der Ukraine hat für eine bestimmte Gruppe besonders verheerende Auswirkungen: Die der Leihmütter, die für Wunscheltern aus Ländern, in der diese Form der Reproduktion verboten ist, Kinder austragen. Viele Kund*innen kommen aus Deutschland: Heterosexuelle Paare (gleichgeschlechtliche Paare oder Alleinstehende dürfen in der Ukraine keine Leihmutter beauftragen), die aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen können, geben eine Schwangerschaft in Auftrag. Der Embryo entsteht im Labor aus den Spermien des Wunschvaters und den Eizellen der Wunschmutter bzw. einer Spenderin und wird in den Körper der Leihmutter eingepflanzt, nach der Geburt bekommt das Kind von den ukrainischen Behörden eine Geburtsurkunde, in dem die Bestelleltern als die rechtlichen Eltern aufgeführt werden.
Der Krieg hat die ohnehin schon strittigen ethischen, rechtlichen und sozialen Dimensionen dieses Konstrukts auf eine dramatische Art und Weise offengelegt. Denn wenn sich die Leihmütter in Sicherheit bringen wollen und das Kind im Ausland auf die Welt kommt, gelten die dortigen Gesetze – der Vertrag mit den Wunscheltern verliert seine Gültigkeit und die Austragende gilt als rechtliche Mutter. Aus diesem Grunde werden die Leihmütter von den Agenturen dazu angehalten, in der Ukraine zu bleiben bzw. dorthin zurückzukehren, um die Kinder dort auf die Welt zu bringen. Ob und wann die Bestelleltern diese dann abholen können, stellt die nächste Problematik dar. Derzeit werden dutzende gestrandete Babys in Luftschutzkellern von Pflegepersonal versorgt.
Der Gebrauch der Körper
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Eine Million Flüchtlinge warten derzeit in erzwungener Passivität auf ihre Verfahren, auf ein Weiter, auf eine Zukunft. Die Tristheit und Unübersichtlichkeit dieser Situation lässt uns in defensiver Manier von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Der Begriff der Krise, aus dem Griechischen stammend, bezeichnet den Höhepunkt einer gefährlichen Lage mit offenem Ausgang – und so steckt in ihm auch die Möglichkeit zur positiven Wendung. Sind die größtenteils jungen Menschen, die hier ein neues Leben beginnen, nicht in der Tat auch ein Glücksfall für unsere hilf los überalterte Gesellschaft? Anstatt weiter angstvoll zu fragen, ob wir es schaffen, könnte es in einer zukunftszugewandten Debatte vielmehr darum gehen, wie wir es schaffen. Was ist der Schlüssel für gelungene Integration: die Sprache, die Arbeit, ein neues Zuhause? Wie können wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, einbinden in die Gestaltung unseres Zusammenlebens? In welcher Weise werden wir uns gegenseitig ändern, formen, inspirieren? Was müssen wir, was die Aufgenommenen leisten? Wie lässt sich Neid auf jene verhindern, die unsere Hilfe derzeit noch brauchen? Und wo liegen die Grenzen der Toleranz? Mit Impulsen von Rupert Neudeck, Rainer Forst, Souleymane Bachir Diagne, Susan Neiman, Robert Pfaller, Lamya Kaddor, Harald Welzer, Claus Leggewie und Fritz Breithaupt.
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Die Frage irritiert. Was soll mein Körper schon wissen? Ist das Problem denn nicht gerade, dass er nichts weiß? Weder Vernunft noch Weisheit besitzt? Warum sonst gibt es Gesundheitsratgeber, Rückenschulen, Schmerztabletten, viel zu hohe Cholesterinwerte. Und wieso gibt es Fitness-Tracker, diese kleinen schwarzen Armbänder, die ihrem Träger haargenau anzeigen, wie viele Meter heute noch gelaufen, wie viele Kalorien noch verbrannt werden müssen oder wie viel Schlaf der Körper braucht. All das weiß dieser nämlich nicht von selbst – ja, er hat es bei Lichte betrachtet noch nie gewusst. Mag ja sein, dass man im 16. Jahrhundert von ganz allein ins Bett gegangen ist. Aber doch wohl nicht, weil der Körper damals noch wissend, sondern weil er von ruinöser Arbeit todmüde und es schlicht stockdunkel war, sobald die Sonne unterging. Wer also wollte bestreiten, dass der Körper selbst über kein Wissen verfügt und auch nie verfügt hat? Und es also vielmehr darum geht, möglichst viel Wissen über ihn zu sammeln, um ihn möglichst lang fit zu halten.
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