Die Kunst der Eleganz
Die Spielregeln der Höflichkeit gelten heute oft als starres Korsett, von dem man sich befreien möchte. Eine andere Perspektive gewinnt, wer sich mit der bürgerlichen Kultur des 17. Jahrhunderts beschäftigt: Der elegante Umgang miteinander bedeutet eine befreiende Lebenskunst.
Es gehört zu den faszinierendsten Erfahrungen städtischen Lebens: Das kunstvolle Flanieren auf Bürgersteigen und in Fußgängerzonen, jene beinahe artistische Gewandtheit, mit der Passanten einander ausweichen, ihr Umfeld weitläufig sondieren, Engpässe frühzeitig bemerken, sich minimal zur Seite drehen, einen Schritt nach links oder rechts tun, um eine kleine Kollision zu vermeiden. Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, das Bewusstsein, nicht allein, sondern Teil eines größeren Ganzen zu sein, sich dementsprechend zu verhalten, also Rücksicht zu nehmen, einander anzuschauen, nonverbale Absprachen für ein, zwei Sekunden zu treffen und so einander erfolgreich auszuweichen: Auch dies macht die Eleganz des urbanen Lebens aus.
Darum bereitet diese Abstimmung Vergnügen. Denn es liegt etwas Artistisches in ihr, sie gründet auf einem raffinierten Minimalismus, der Teil der modernen Lebensform ist – ihrer Neigung zu diskreten Gesten, von denen nicht wenig abhängt, in diesem Fall die wie von Zauberhand arrangierten Bewegungsabläufe der großen Menge, ihrem fließend-glatten Wogen in den Straßen der Stadt, geboren aus dem Geist der Notwendigkeit. Doch letztlich ist die durch einen kurzen Blick oder ein angedeutetes Lächeln signalisierte Übereinkunft mehr als nur ein Akt der Koordination. Sie ist Programm, Bekenntnis und Erbe. In ihr spiegeln sich zentrale Spielregeln der Zivilisation, Grundsätze des Miteinanders, Reflex gewordenes Wissen um Grundlagen angemessenen Verhaltens in Gesellschaft.
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