Die Kunst, immer Recht zu behalten: Kniff Nr. 3
Hitzige Debatten am Familientisch sind zu Weihnachten keine Seltenheit. Was es da braucht, ist argumentatives Geschick. Die Kunst ist schließlich, nicht nur Recht zu haben, sondern die anderen auch davon zu überzeugen. Unser Adventskalender hält 24 Kniffe bereit, die schon die großen Denker für sich nutzten. Heute: Behaupten Sie das Gegenteil.
Das Verfahren
Beim Angriff wird wie folgt vorgegangen: Sie übernehmen das Argument Ihres Gesprächspartners Wort für Wort, um es in sein Gegenteil zu verkehren. Beispielsweise vertritt ihr Gegenüber die Ansicht: „Das ist ein Kind. Man muss nachsichtig mit ihm umgehen.“ Antworten Sie: „Eben weil es ein Kind ist, sollte man keinesfalls nachsichtig mit ihm sein! Sonst wird es nämlich nie erwachsen.“ Schopenhauer zufolge ist dies die eleganteste aller rhetorischen Finten, weil dabei mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung erzielt wird. In der Tat – die bloße Verwendung des Wörtchens „eben“, verbunden mit einer Verneinung, macht Sie zum strahlenden Sieger der Debatte. Das Material des Arguments hat Ihnen ja bereits Ihr Gegner geliefert, ein Umstand, der nicht unwesentlich zu seiner Demütigung beiträgt.
Die meisten großen Philosophen beherrschten dieses Verfahren aus dem Effeff – Hegel etwa, der darauf bedacht ist, die Freiheit nicht mit der Moral in eins zu setzen: Das Kant’sche Diktum „du kannst, denn du sollst“ dreht er in seiner Wissenschaft der Logik einfach um, wenn er schreibt: „Du kannst nicht, eben weil du sollst. Denn im Sollen liegt ebenso sehr die Schranke als Schranke.“ (I, § 141). Dieser als retorsio berüchtigten Argumentationsfinte gebührt ein Ehrenplatz in der Philosophiegeschichte. Denn jeder große Geist musste sich zunächst als rebellischer Schüler gegen seinen Meister beweisen.
Die Abwehr
Um sich gegen dieses demütigende Verfahren zur Wehr zu setzen, genügt es, die eigene Ansicht unverzagt zu bekräftigen. Sie drehen das von Ihrem Gegner verdrehte Argument erneut um. Im oben angeführten Streitfall über Kindererziehung würde der Verteidigungsschlag also lauten: „Eben gerade weil autoritäre Erziehung zu nichts führt, muss man nachsichtig sein.“ Damit signalisieren Sie, dass Sie die Gegenthese bereits durchdacht und verworfen haben. Allerdings sollten Sie bei den Worten „eben gerade“ auf eine subtil modulierte Stimmlage achten. Betonen Sie hier keinesfalls zu stark! Denn dann wäre zu offenkundig, dass sich die Schlagkraft Ihres Arguments aus der bloßen Verneinung speist.•
Übersetzt von Marianna Lieder
Weitere Artikel
Die Kunst, immer Recht zu behalten: Kniff Nr. 1
Hitzige Debatten am Familientisch sind zu Weihnachten keine Seltenheit. Was es da braucht, ist argumentatives Geschick. Die Kunst ist schließlich, nicht nur Recht zu haben, sondern die anderen auch davon zu überzeugen. Unser Adventskalender hält 24 Kniffe bereit, die schon die großen Denker für sich nutzten. Heute: Einen anderen Ton anschlagen.
Die Kunst, immer Recht zu behalten: Kniff Nr. 2
Hitzige Debatten am Familientisch sind zu Weihnachten keine Seltenheit. Was es da braucht, ist argumentatives Geschick. Die Kunst ist schließlich, nicht nur Recht zu haben, sondern die anderen auch davon zu überzeugen. Unser Adventskalender hält 24 Kniffe bereit, die schon die großen Denker für sich nutzten. Heute: Wiederholen Sie sich!
Die Kunst, immer Recht zu behalten: Kniff Nr. 4
Hitzige Debatten am Familientisch sind zu Weihnachten keine Seltenheit. Was es da braucht, ist argumentatives Geschick. Die Kunst ist schließlich, nicht nur Recht zu haben, sondern die anderen auch davon zu überzeugen. Unser Adventskalender hält 24 Kniffe bereit, die schon die großen Denker für sich nutzten. Heute: Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Reichen.
7. Türchen
Von der Neuerscheinung bis zum Klassiker: In unserem Adventskalender empfiehlt das Team des Philosophie Magazins bis Weihnachten jeden Tag ein Buch zum Verschenken oder Selberlesen. Im 7. Türchen: Unsere langjährige Übersetzerin Grit Fröhlich rät zu Zeit als Lebenskunst von Olaf Georg Klein (Wagenbach, 240 S., 14,90 €)
Sokrates und der Eros
Zum Stichwort Liebe hat jeder etwas zu sagen. Das war schon im antiken Griechenland so. In Platons „Gastmahl“, dem legendärsten Trinkgelage aller Zeiten, versuchen Athens Meisterredner das Wesen der Liebe, des Eros, zu fassen. Handelt es sich um eine Gottheit? Ist wahre Liebe körperlich oder geistig – oder beides? Und was hat es mit der Liebe zur Weisheit, dem Eros der Philosophen auf sich? Sokrates, Stargast des Gastmahls, klärte seine Zechkumpane vor 2400 Jahren auf. Sein Denken macht ihn bis heute zum unwiderstehlichsten unter allen Erotikern.
Familie - Zuflucht oder Zumutung?
Der Herd ist noch an. Es fehlen einige Gabeln sowie Tante Barbara, die wieder „im Stau“ steckt. Egal. Anfangen, „bevor das Essen kalt wird“, mahnt meine Mutter wie jedes Jahr. Vor allem aber: „Langsam essen!“ Vater hat derweil schon den zweiten Bissen im Mund. Der Neffe spielt unter der Tischplatte auf seinem Smartphone. Meine Schwester versetzt ihm dezent einen Tritt. Der Schwager zischt: „Lass ihn doch einfach!“ Dass die Flüchtlingskrise als Thema tabu ist, hatten wir im Vorfeld per Rundmail zwar ausdrücklich vereinbart, aber was interessiert das schon Onkel Ernst? Denn erstens hat er kein Internet und zweitens kein anderes Thema. Ein verzweifelter Blick auf die Uhr. Und zur Gattin. Noch 22 Stunden und 34 Minuten, bis der Zug zurück nach Hause fährt. Durchhalten. Frieden wahren. Schließlich ist heute Weihnachten. Und das hier meine Familie.
Adventskalender 2020
Von der Neuerscheinung bis zum Klassiker: In unserem Adventskalender empfiehlt das Team des Philosophie Magazin bis Weihnachten jeden Tag ein Buch zum Verschenken oder Selberlesen.
Sind wir taub für den Lärm geworden?
In Frankreich wird gerade darüber debattiert, ob sich Klimaschutz nicht nur gegen Luft-, sondern auch Lärmverschmutzung richten sollte. Schließlich analysierte bereits der Soziologe Georg Simmel, dass akustisches Dauerrauschen unser Sozialverhalten ändert.