Die UNO und das Massaker der Hamas
Viele Menschen halten die UNO für eine „neutrale“, moralisch integre Institution. Dabei ist sie lediglich die Summe ihrer Teile. Seit den 1970er-Jahren agitiert sie mit massiven Doppelstandards gegen Israel. Der jüdische Staat wurde von ihren zentralen Gremien doppelt so oft verurteilt wie alle anderen Länder der Welt zusammen.
Am Anfang war die Lüge. Israel habe das Al-Ahli-al-Arab-Krankenhaus in Gaza-Stadt bombardiert, hieß es am 17. Oktober 2023 in Medien und Sozialen Netzwerken. Das von der Hamas geleitete Gesundheitsministerium in Gaza erklärte bereits unmittelbar nach dem Ereignis Israel als Schuldigen und gab mehrere Hundert Opfer an. Die Meldung verbreitete sich schnell. Auch UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich auf X schon wenige Stunden später entsetzt und übernahm ungeprüft die Opferzahlen der Hamas.
Nur war die Meldung falsch. Denn die Rakete war tatsächlich von der islamistischen Terrororganisation Islamischer Dschihad abgefeuert worden und sollte Israel treffen. Als später unter anderem Human Rights Watch die Hamas-Meldung als Propaganda identifizierte und sogar den Explosionsort korrigieren musste, denn getroffen wurde der Parkplatz des Krankenhauses, war es längst zu spät. Die Empörungswelle war losgetreten, in Berlin versammelten sich mehrere Hunderte Menschen spontan vor dem Brandenburger Tor, die Polizei musste das nahegelegene Holocaust-Memorial schützen.
Die Verlautbarungen des UNO-Generalsekretärs waren hier Teil einer Desinformationskampagne. Von einem UNO-Vertreter wurden antiisraelische Ressentiments geschürt, mal wieder. Beispiele dieser Art gibt es zahlreiche – sowohl vor als auch nach dem 7. Oktober. UNO-Organe und -Vertreter*innen fallen seit langem und bis heute durch einen starken Anti-Israel-Bias auf, der sich in Resolutionen und Reden, in Reports und Postings spiegelt und in dem sich immer wieder israelbezogener Antisemitismus Bahn bricht.
In einem Lagebild zu Antisemitismus haben wir uns als Amadeu Antonio Stiftung im Sommer 2025 mit einer Kritik am skandalösen Handeln der UNO an die deutsche Öffentlichkeit gewendet. Unser Fazit: Die UNO hat – bezogen auf die antisemitischen Entwicklungen seit dem 7. Oktober 2023 – anstatt Brände zu löschen, Öl ins Feuer gegossen. Jüdinnen*Juden zeigen sich enttäuscht.
Ohne Frage war die Gründung der UNO ein Meilenstein, der Hoffnung stiftete auf eine stabile, staatenübergreifende Zusammenarbeit als Lehre aus zwei Weltkriegen. Am 26. Juni dieses Jahres jährte sich die Unterzeichnung der UNO-Charta zum 80. Mal. Bis heute besitzt die UNO eine moralische Vorbildfunktion, sie wird für objektiv, neutral oder transnational gehalten. Sie fungiert als Kompass in schwierigen Zeiten und trägt damit eine globalpolitische Verantwortung.
Summe ihrer Teile
Doch letztlich ist die UNO bloß die Summe ihrer Teile. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie ist eine internationale Organisation, ein Zusammenschluss der meisten Staaten dieser Erde, und die Mehrheit ihrer Mitgliedsstaaten ist nicht demokratisch. Viele Mitgliedstaaten vertreten eine offen israelfeindliche Agenda und können diese unbescholten durchsetzen. Nicht nur in Generalversammlung und Menschenrechtsrat hat man als Israelfeind leichtes Spiel. Auch personell trifft man hier auf einen Bias gegen Israel. Wenn man sich mit dem Thema Israelfeindschaft in der UNO auseinandersetzt, stolpert man, neben António Guterres, auch immer wieder über die UNO-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete seit 1967, Francesca Albanese. Sie fungiert als Stichwortgeberin für Antizionisten weltweit, fällt durch das Bemühen klassisch antisemitischer Verschwörungserzählungen auf und ist auch gern gesehener Gast bei deutschen, linken Gruppen, die seit dem 7. Oktober eine zentrale Rolle in der Mobilisierung gegen den jüdischen Staat spielen.
Albanese vergleicht die Politik Israels immer wieder mit jener der Nazis, im Juli 2024 verglich sie den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf X mit Hitler. Sie bemühte sich unmittelbar am 7. Oktober darum, die Ereignisse in einen größeren Kontext zu setzen, und veröffentlichte Anfang 2024 den Report „Anatomie eines Genozids“, in dem sie Israel entgegen den historischen Fakten vorwirft, seit 1948 ein genozidales, siedlerkoloniales Projekt zu sein. Mit der Hamas hat sie keine Berührungsängste, für ihre Taten zeigt sie Verständnis: 2022 sprach sie online zugeschaltet auf einer Konferenz in Gaza – organisiert vom Rat für internationale Beziehungen der Hamas. Dort versicherte sie den Zuhörenden: „Ihr habt das Recht, gegen die Besatzung Widerstand zu leisten.” Im April 2025 wurde ihre Amtszeit bei der UNO um weitere drei Jahre verlängert.
In der globalen Linken wird die Gewalt des 7. Oktobers als genau das verklärt: als Widerstand. Eine UNO-Vertreterin liefert dafür die Stichworte? Bereits 1974 hat die UNO-Generalversammlung in der Resolution 3246 ausdrücklich die „Legitimität des Kampfes der Völker für Befreiung [...] mit allen vorhandenen Mitteln, inklusive bewaffnetem Kampf” anerkannt. Im Rahmen der UNO-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 in Durban (Südafrika) zeigte sich besonders augenfällig, wie die UNO selbst zum Katalysator und Legitimitätsgaranten für modernen israelbezogenen Antisemitismus wurde. Unter dem Banner des Antirassismus wurde dort Zionismus – also letztlich der jüdische Anspruch auf staatliche Selbstbestimmung – mit Rassismus gleichgesetzt und so das Bild Israels als rassistischer Apartheidstaat salonfähig gemacht. Narrative, die seither weltweit von antizionistischen Gruppen aufgegriffen und verstärkt werden. Seit dem 7. Oktober wird Zionist zunehmend zu einem Feindbild und mit Faschismus und Nationalsozialismus gleichgesetzt, z.B. im Kofferwort „Zionazis“ oder durch Schmierereien, die einen Mix aus Davidstern und Hakenkreuz darstellen.
Die UNO verschaffte diesen Positionen nicht nur organisatorisch eine Bühne, sondern dient durch die in Durban verabschiedeten Deklarationen bis heute als moralisches Fundament für die Dämonisierung und Delegitimierung Israels. Gerade die Durban-Konferenz fungiert als Stichwortgeberin für den internationalen, institutionellen Antisemitismus, indem sie den Hass auf Israel in den Mantel universaler Menschenrechte kleidet und damit globale Anschlussfähigkeit garantiert.
Das Versagen der UNO angesichts des 7. Oktobers
Die israelfeindliche Agenda der UNO zeigt sich zuvörderst in den vielen Resolutionen gegen Israel. Das ist schon lange so. Seit 2000 wurden in der Generalversammlung 173 Resolutionen gegen Israel verabschiedet. Das sind mehr als doppelt so viele wie Resolutionen gegen alle anderen Mitgliedsstaaten zusammen. Im direkten Vergleich: Es wurden lediglich jeweils 10 Resolutionen zu Afghanistan und der Islamischen Republik Iran verabschiedet, 0 zu China und Kuba. Immerhin 29 Resolutionen zu Russland. Im UNO-Menschenrechtsrat wurden zwischen 2006 und 2024 108 Resolutionen gegen Israel verabschiedet und 74 gegen den Rest der Welt.
Zahlreiche Resolutionen der Vereinten Nationen illustrieren, wie der jüdische Staat als „Sündenbock der Weltgemeinschaft“ konstruiert wird. Besonders anschaulich ist die WHO-Resolution von 2016: Als einziges Land wurde Israel, und nicht etwa Syrien, Nordkorea oder der Iran, beschuldigt, gezielt die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Umwelt zu schädigen. Assoziationen zur Legende der Brunnenvergiftung drängten sich Kritiker*innen auf. Derartige Anträge werden meist mit großer Mehrheit verabschiedet, während Gegenvoten rar bleiben. Ebenso verurteilt die UNO-Frauenrechtskommission regelmäßig ausschließlich Israel als angebliches Haupt-Hindernis für Frauenrechte im Nahen Osten – ungeachtet gravierender Verstöße anderer Länder wie Saudi-Arabien oder der Islamischen Republik Iran. Das antisemitische Moment zeigt sich in der obsessiven, exklusiven Schuldzuweisung: Israel wird für universelle Übel verantwortlich gemacht, als einziges Land gesondert behandelt und dämonisiert.
Das israelfeindliche Abstimmungsverhalten der UNO-Gremien setzte sich auch nach dem 7. Oktober fort. Die große Mehrheit aller Staaten steht bereit, wenn es darum geht, das Handeln des jüdischen Staates zu verurteilen, ob es nun eine faktische Grundlage gibt oder nicht. Nur wenige Staaten, darunter die USA, stimmen an der Seite Israels ab. Deutschland nicht. Die Rede von der Staatsräson übersetzt sich in der UNO-Generalversammlung nicht in außenpolitisches Handeln.
„Das ist ein schwarzer Tag für die UNO und die Menschheit”, klagte Israels UNO-Botschafter Gilad Erdan, weil die Generalversammlung gerade einmal drei Wochen nach dem Hamas-Massaker eine israelfeindliche Resolution verabschiedete. 121 Mitgliedsstaaten stimmten zu, 14 lehnten ab. Deutschland enthielt sich. Diese Resolution forderte einen „sofortigen, dauerhaften und nachhaltigen” Waffenstillstand – und schaffte es, weder die Hamas noch die Geiseln auch nur zu erwähnen. Die Hamas lobte die Resolution später. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, äußerte sich enttäuscht. Überraschen konnte diese Resolution nur diejenigen, die glaubten, der 7. Oktober sei eine Zäsur für die Weltgemeinschaft. Das war sie nicht.
Nach dem 7. Oktober 2023 wurde in der Generalversammlung der UNO eine Vielzahl von Resolutionen verabschiedet, die sich nahezu ausschließlich und einseitig gegen Israel richten. Bemerkenswert ist, dass in diesen Resolutionen die Terrororganisation Hamas kaum oder gar nicht namentlich verurteilt wird, während die Schuld nahezu ausschließlich „der Besatzungsmacht“ Israel zugeschrieben wird. Forderungen nach einer sofortigen Waffenruhe bleiben unspezifisch, blenden die anhaltende Geiselnahme und den gezielten Terror der Hamas völlig aus. Viele dieser Resolutionen greifen auf stereotype Narrative zurück und verfestigen das Bild Israels als Alleinschuldigen im Konflikt.
Die wiederkehrende Erwähnung des palästinensischen Rückkehrrechts und die Forderung nach Stärkung der UNRWA – trotz deren nachgewiesener Verstrickungen in antisemitische Hetze und den Terror des 7. Oktobers – unterstreichen, wie sehr die Generalversammlung dazu beiträgt, antiisraelische und antisemitische Narrative global zu normalisieren. Indem die Gewalt der Hamas systematisch relativiert oder sogar ignoriert wird, entsteht ein massiver doppelter Standard, der Israel als „Juden unter den Staaten“ einmal mehr ausgrenzt und dämonisiert.
Diskursive Ratlosigkeit in der Antisemitismusbekämpfung
Die UNO schürt antisemitische Ressentiments und nobilitiert israelfeindliche Positionen. Dass das so gut funktioniert, hat auch damit zu tun, dass viel Unwissen über die Funktionsweisen von Antisemitismus herrscht und die Themen Antisemitismus und Nahost derart „aufgeladen“ sind, dass viele Menschen eine eingehende Beschäftigung damit scheuen.
Dabei ist es gar nicht so kompliziert. Der Fehler beginnt schon da, wo der israelbezogene Antisemitismus für eine besondere Variante des Antisemitismus gehalten wird. In den 2000er Jahren erschienen mehrere Publikationen zum sogenannten „neuen Antisemitismus”. Dabei ist der gar nicht so neu, und vor allem nicht viel anders, als der hergebrachte Hass. Die Berliner Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel nutzt ein passendes Bild, wenn sie vom Antisemitismus als Chamäleon spricht: Im Wesen bleibt diese wahnhafte Ideologie stets gleich, aber sie wandelt ihre Erscheinung, je nachdem vor welchem politisch-gesellschaftlichen Hintergrund sie sich zeigt. Denn Antisemitismus behauptet, diese Welt zu erklären und das Übel in der Welt identifizierbar zu machen.
Beschrieben werden kann diese Ideologie mit 4V: (1) Im Antisemitismus werden Jüdinnen*Juden verantwortlich gemacht für etwas, was „die Juden” angeblich getan haben sollen. (2) „Die Juden” werden verteufelt, als das Böse beschrieben und als gefährlich dargestellt. (3) Antisemitismus argumentiert immer mit Verschwörungserzählungen und erklärt sich komplexe gesellschaftliche Verhältnisse dadurch stets durch personale Schuld. (4) Alle Varianten des Antisemitismus tendieren zur Vernichtung, „die Juden” gelten als übermächtige, teuflische Gruppe, die im Hintergrund die Strippen zieht – und zwingend aus der Welt verschwinden muss. Diese 4V treffen auf alle Varianten des Antisemitismus zu, insbesondere auch auf den israelbezogenen.
Während es weitestgehend gesellschaftlich geächtet ist, konkret jüdische Menschen „verschwinden” lassen zu wollen, ist es mittlerweile weit verbreitet, stellvertretend dafür nun Israel, dem fehlbaren jüdischen Staat, unter dem Deckmantel der „legitimen Israelkritik” die Vernichtung zu wünschen. Die künstliche Trennung gerade dieser virulenten Variante des Antisemitismus vom klassischen Judenhass hat zu einer Eskamotierung des Antisemitismus beigetragen. Dabei gibt es für die Mehrheitserfahrungen der allermeisten Jüdinnen*Juden kaum noch Raum, ihre Sorgen und Nöte werden kaum gehört. „Jews don’t count”, fasste der englische Comedian David Baddiel das pointiert zusammen. Israelfeindschaft grassiert dafür umso ungehemmter. Sie wurde wieder zum kulturellen Code. Wer zu den Guten gehören will, meint, Israelhass verbreiten zu müssen. Die Tragik: Die UNO liefert dafür das moralische Rüstzeug. Sie kann dabei leider als schlechtes Vorbild gelten.
Und das fällt vor allem beim Umgang mit der sexualisierten Gewalt des 7. Oktobers auf. UN Women, die wohl prominenteste Frauenrechtsorganisation der UNO, formuliert auf der Website vier strategische Prioritäten ihrer Arbeit. Eine Priorität lautet: „Alle Frauen und Mädchen leben ein Leben frei von jeglicher Form von Gewalt” (dt. Übersetzung). Dennoch kam die erste Reaktion auf den 7. Oktober 2023 in den sozialen Medien von UN Women erst in Form eines Instagram-Posts am 14. Oktober. In einem Halbsatz werden die Attacken auf israelische Zivilist*innen erwähnt, die Hamas, die weiblichen Geiseln und die brutale sexualisierte Gewalt bleiben dagegen unerwähnt. Besonders erschreckend: Die UNO-Sonderbeauftragte für sexualisierte Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, bezog erst Anfang März 2024 erstmals öffentlich Stellung zur sexualisierten Gewalt des 7. Oktober.
Und ein paar Tage später, am Internationalen Frauentag 2024, erinnerte Francesca Albanese höhnisch israelische Frauen an ihre Mitschuld: „Meine Gedanken sind heute bei den Frauen und jungen Mädchen in Gaza. (...) Meine Gedanken sind auch bei den israelischen Frauen, besonders bei den Soldatinnen: Was habt ihr getan, was ist aus euch geworden. Ihr Lieben, wenn ihr das begreift, werdet ihr für immer davon heimgesucht werden.” (dt. Übersetzung)
Sharon Adler, jüdische Journalistin und Fotografin, beschrieb in einem Interview für das Lagebild ihre Enttäuschung in Bezug auf die UNO und ihre frauenrechtlichen Unterorganisationen: „Das Schweigen dieser großen Organisationen hat mich wahnsinnig enttäuscht. Denn Solidarität darf keine Frage der Identität sein. Wer sexualisierte Gewalt verurteilt, muss dies konsequent tun – unabhängig von politischen oder ideologischen Überzeugungen.” Francesca Albanese genießt heute eine Popularität, die sonst vielleicht niemand in der UNO besitzt. Sie ist eine der lautesten und meistgehörten Stimmen. Wie ein Popstar wurde sie im Februar 2025 in Berlin bei einer Veranstaltung verschiedener antizionistischer Gruppen vom Publikum empfangen: „We love you, Francesca!”, rief jemand aus dem Publikum.
Es verwundert nicht. Mit ihren israelfeindlichen Positionen hat sie sich nach dem 7. Oktober in der antizionistischen Szene einen Namen gemacht, als Verfechterin der angeblichen Wahrheit, als Sprachrohr für die vermeintlich gute Sache. Ende September demonstrieren Zehntausende durch Berlin. Auf einem riesigen Transparent waren Francesca Albanese und Julian Assange abgebildet. Ihr Mund wurde durch eine israelische Fahne verdeckt, seiner durch eine amerikanische. Israel, soll das heißen, mache sie, die die Wahrheit ausspricht, „mundtot”. Dass man es mit der Wahrheit bei der UNO in Bezug auf Israel nicht immer so genau nimmt, zeigt nicht nur das Beispiel Guterres bereits kurz nach dem 7. Oktober. •
Nikolas Lelle schreibt über Antisemitismus, Nationalsozialismus und „deutsche Arbeit“. Er arbeitet seit 2020 bei der Amadeu Antonio Stiftung. Seine letzten beiden Bücher erschienen im Verbrecher Verlag.
Alissa Weiße ist studierte Literaturwissenschaftlerin und Teil des Bereichs Arbeit gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung. Die gebürtige Dresdnerin lebt in Berlin und publiziert in der Wochenzeitung Jungle World, in der Jüdischen Allgemeinen und auf Belltower.News.
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