Eine Spengler-Lektüre macht noch keinen Faschisten
Oswald Spengler war ein Reaktionär und Misanthrop – aber auch ein großer Geschichtsphilosoph mit feinem Gespür für das Illiberale am Liberalismus. Eine Replik auf Thomas Assheuer von Moritz Rudolph, Redakteur des Philosophie Magazins.
Die heutige Bundespräsidentenwahl wirft abermals das Licht auf Max Otte, der für die AfD als Kandidat antritt. Ottes politische Haltung soll hier nicht verteidigt werden. Diese jedoch auf eine zu intensive Oswald-Spengler-Lektüre zurückzuführen, wie jüngst Thomas Assheuer auf Zeit Online, wird Spengler nicht gerecht. Das zeigt bereits ein Blick auf die Liste seiner Bewunderer: Der Technikphilosoph Gotthard Günther, der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler, Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, der Anthropologe Jared Diamond, der Historiker Franz Borkenau oder Theodor W. Adorno lasen alle eifrig Spengler, keiner von ihnen war Faschist. Was sie jedoch eint, ist ein geschichtsphilosophischer Spürsinn, der über das herkömmliche Klein-Klein des gemächlich-liberalen Fortschrittsparadigmas hinausgeht. Hierfür ist Spengler noch immer die erste Adresse. In seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (1918/1922), dem meistgelesenen Sachbuch der Weimarer Republik, zeichnet er das Auf und Ab der Hochkulturen nach, das immer demselben Muster folgt: Auf eine Jugend- und Blütezeit folgt eine Spätphase, die nicht mehr durch Kultur (Religion, Kunst) bestimmt ist, sondern von der Klammer der Zivilisation (Wissenschaft, Technik, Politik) zusammengehalten wird. Die schöpferischen Kräfte versiegen. Anschließend kommt der Untergang, von dem auch das Abendland, die bisher letzte Hochkultur, nicht verschont bleibt.
Historische Musikalität
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Einfache Registrierung per E-Mail
- Im Printabo inklusive
Hier registrieren
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Imperialer Phantomschmerz
Wenn Herrschaft verlorengeht, der Verfügungsanspruch aber bleibt, entsteht imperialer Phantomschmerz. Nicht nur der Kreml macht damit Politik. Ein Impuls unseres Redakteurs Moritz Rudolph.

Experte, Populist und Philosoph
Der Experte hat Konjunktur, der Populist aber auch. Beide verwalten den Status quo. Allein der Philosoph sucht nach Auswegen. Ein Impuls von Moritz Rudolph.

Der Bruder als trojanisches Pferd?
Russlands Überfall auf die Ukraine ist, so hört man oft, ein „Bruderkrieg“. Was manchen als tragische Anomalie erscheint, ist aber tatsächlich der Normalfall. Ein Impuls von Moritz Rudolph.

Christoph Möllers: „Zu sagen: ‚Das tut mir weh!’ reicht nie“
Liberalismus wird oft gleichgesetzt mit einer Verteidigung individueller Freiheit gegen staatliche Gewalt. In seinem soeben erschienenen Buch Freiheitsgrade macht sich Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, für ein anderes Verständnis des Liberalismus stark, das den Staat weniger als Bedrohung, denn vielmehr als Schutz begreift. Wie weit aber darf dieser Schutz reichen? Ein Gespräch über Freiheit in Zeiten von Corona, gesellschaftliche Verletzbarkeiten und Freiheitsräume, die produktiv irritieren.

Was kommt nach dem Liberalismus?
Autokratische Regime erstarken, der Ruf nach Führung wird angesichts dramatischer Krisen auch in Demokratien immer lauter. Muss sich der Liberalismus neu erfinden? Parag Khanna und Herfried Münkler, zwei der wichtigsten geopolitischen Stimmen der Gegenwart, über das neue Ende der Geschichte.

Elon Musk und der altruistische Liberalismus
Jüngst wurde Elon Musk vom Time-Magazine zur „Person des Jahres“ gekürt. Das stieß im Netz auf reichlich Empörung. Zurecht, meint unsere Autorin, denn Musks altruistischem Liberalismus wohne ein fundamental anti-politischer Gestus inne.

Pankaj Mishra: „Liberalismus ist mit Demokratie nicht vereinbar“
Pankaj Mishra zählt zu den weltweit einflussreichsten Intellektuellen. Im Interview zu seiner jüngst veröffentlichten Essaysammlung Freundliche Fanatiker spricht er über den Konnex von Liberalismus und Kolonialismus und argumentiert, warum die Berufung auf Kant und Voltaire nicht ausreiche.

Querdenker: Die reaktionäre Multitude?
Nach wie vor protestieren sogenannte „Querdenker“ gegen die Corona-Maßnahmen. Doch um was für eine Art von Bewegung handelt es sich? Ist sie womöglich die reaktionäre Verwirklichung eines einst von links theoretisierten Konzepts?
