Gaslighting: Die Verdunkelung der Seele
Gaslighting gehört zu den weitverbreitetsten und gefährlichsten Formen der zwischenmenschlichen Manipulation. Um zu verstehen, wie es funktioniert und wie man sich dagegen wehren kann, hilft ein Blick in das Werk Michel Foucaults.
Die Partnerin oder den Partner nach und nach – wenn man so will: auf kleiner Flamme – in den Wahnsinn treiben. Das nennt man „Gaslighting“. Ein Begriff, der auf den gleichnamigen Film von George Cukor aus dem Jahr 1944 zurückgeht. Im Zentrum der Handlung steht Das Haus der Lady Alquist, wie auch der deutsche Titel lautet, in dem die Flamme sämtlicher im Haus befindlicher Gaslampen immer schwächer wird, ohne dass die von Ingrid Bergmann gespielte Bewohnerin Paula Alquist Anton sich diesen mysteriösen Umstand erklären könnte. Wie sollte sie auch, ist es doch ihr Mann Gregory Anton (Charles Boyer), der das Gas heimlich aufbraucht und sie so im wahrsten Sinne des Wortes hinters Licht führt.
Die für Paula gleichermaßen unerklärliche wie unaufhaltsame Verdunkelung bezieht sich zunächst nur auf das Licht im Haus, legt sich nach und nach allerdings auch wie ein Schatten auf ihr Gemüt und treibt sie letztlich beinahe in den Wahnsinn. Ein Blick in Michel Foucaults Werk Wahnsinn und Gesellschaft – Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft kann allerdings helfen, ein Spotlight auf diese immer noch (zu) häufig angewandte Technik der Manipulation zu werfen.
Das Bild eines immer schwächer werdenden Lichts ist nicht zufällig gewählt, da es sinnbildlich für den Elan steht, den Manipulatoren beim Gaslighting in Geist und Körper ihres Opfers zu löschen versuchen. Auch Foucault beschreibt es als Charakteristikum des Wahnsinns „die tragischen Gestalten des Wahnsinns fortschreitend in den Schatten“ zu drängen.
Isolation ist Macht
Mit kleinen, meist verwirrenden Handlungen dimmt der Manipulator beim Gaslighting das Urteilsvermögen seines Opfers immer weiter herunter. Es sind kleinen Verwirrungen im Umfeld des Opfers, durch die der Manipulator die Oberhand über sein Opfer gewinnt. Während des ganzen Films verändert Paulas Ehemann so diskret das ganze Haus. Ein Bild, das vorher noch nicht da hing, ein verlegter Geldbeutel, eine gestohlene Uhr.
Kleine aber wirkungsvolle Schritte. Laut der feministischen Theoretikerin Florence Rush ist genau dies eine gängige Technik bei Menschen, die Gaslighting betreiben. In ihrem Buch The Best Kept Secret: The Sexual Abuse of Children (1980) erklärt sie, dass durch Gaslighting „die Welt, in der [das Opfer] lebt und der es vertraut, verändert“ wird und so seine „Wahrnehmung der Realität und letztlich seine Vernunft selbst zerstört“. Doch wie ist ein solch fundamentaler Eingriff in die Psyche einer anderen Person überhaupt möglich?
Im Film verhindert der manipulative Ehemann, unterstützt von seinen Komplizen in der Dienerschaft, dass seine Frau ausgeht, so dass ihr nur seine Sichtweise als Zerrbild ihrer selbst bleibt. Und genau das ist der Zweck der Isolation. Der Manipulator will ihr eine einzige Version der Realität aufzuzwingen, um zu verhindern, dass sich das Opfer der Manipulation bewusst wird. Auch Foucault zufolge ist die Isolation das beste Mittel um einen Menschen in den Wahnsinn zu treiben.
Aus Angst wird Wahnsinn
Während Paula im Laufe der Handlung immer mehr in Richtung Wahnsinn abzudriften scheint, wird ihr Mann hingegen immer selbstbewusster und aggressiver. Ein Paradebeispiel dessen, was Foucault zufolge passiert, wenn jemand einen andern als „wahnsinnig“ bezeichnet. Er schreibt: „Zwischen den Wahnsinnigen und das Subjekt, das von ihm sagt: ‚Der da ist wahnsinnig!‘, hat sich ein großer Abstand gegraben, der nicht mehr die cartesianische Leere des ‚Der da bin ich nicht!‘ ist, sondern der durch die Fülle eines doppelten Systems von Anderssein besetzt ist.“
Wer jemand des Wahnsinns bezichtigt, setzt den Maßstab dessen, was Wahnsinn sein soll. Er verkörpert das „Universelle“, das Vernünftige, während „der Wahnsinnige“ beschuldigt wird „das Andere, Abweichende“ zu sein. Wessen Position einmal derart geschwächt ist, findet sich in einem Teufelskreis wieder. Jeder Widerspruchsversuch wird lediglich als weiterer Ausweis für den Wahnsinn gesehen und die Vormundschaft sowie die Macht des Manipulators verfestigen sich.
Als das Paar im Film sich bei einem Musikkonzert befindet, beschuldigt der Ehemann seine Frau, seine Uhr gestohlen zu haben, die er in Wahrheit selbst in ihre Handtasche gelegt hat. Die Frau, die glaubt, dass sie tatsächlich die Uhr ihres Mannes gestohlen hat, kann nicht mehr an sich halten und beginnt unkontrolliert zu schreien. Aus solchen scheinbar harmlosen Ereignissen ergibt sich in der Summe der Ruf, dass jemand „gestört“ oder „verrückt“ sei.
Licht ins Dunkel
Laut Foucault sind es diese Handlungen, die Menschen „durch ihre Unordnung, Wut und Fülle in monströsen Unmöglichkeiten“ zeigen, die „das dunkle Rasen, den unfruchtbaren Wahnsinn im Herzen der Menschen“ zum Vorschein bringen. Und weil es tausend Gründe gäbe, wütend zu sein, ist der Vorwurf des Wahnsinns ebenso leicht, wie beinahe unmöglich zu kontern.
Will man dem Gaslighting ein Ende setzten, braucht es oft einen Vermittler zwischen dem Manipulator und seinem Opfer. Jemanden also, der die Realität aus einer anderen Perspektive beleuchten und so Licht ins Dunkel bringen kann. Im Film übernimmt diese Rolle Scotland-Yard-Kommissar Brian Cameron (Joseph Cotten), dem es gelingt, die Isolations- und Manipulationsblase zum Platzen zu bringen, die der heimtückische Ehemann um seine Frau aufgebaut hat.
Dank ihm wird aus dem Verdächtiger erst ein Verdächtigter und dann ein für schuldig befundener „Anderer“, den es wiederum zu isolieren gilt. So wendet sich das „heimlichere Stigma des Wahnsinns“ final gegen ihn selbst. •
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