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Bild: Julian Tong (Unsplash)

Schwerpunkt Spazieren

Gerd Kempermann: „Die allermeisten Gedanken können ergangen werden“

Gerd Kempermann veröffentlicht am 24 November 2020 8 min

Wenn Philosophen in Säulenhallen lustwandeln oder auf einsamen Waldspaziergängen dem Gang der Welt nachgrübeln, dann kann der Neurowissenschaftler Gerd Kempermann das erklären: Gehen ist dem Denken zuträglich, weil Gehirne überhaupt erst im Zusammenhang mit der Bewegung entstanden sind.

 

Philosophie Magazin: Seit der Antike findet man in der philosophischen Tradition die Überzeugung, dass Gehen dem Denken förderlich sei. Was sagt der aktuelle Stand der naturwissenschaftlichen Forschung dazu?

Gerd Kempermann: Zunächst: Rein anekdotisch wird der Zusammenhang von Gehen und Denken, oder zumindest Gehen und Lernen, ja nicht nur von antiken Wandelhallen nahegelegt, sondern auch von einer Fülle anderer Phänomene. Denken Sie an Schauspieler, die beim Rollenlernen herumlaufen, oder an Schüler, die im Gehen Vokabeln büffeln … Die neurowissenschaftliche Forschung der letzten Jahre zu diesem Zusammenhang hat nun Hinweise gegeben, dass der Hippocampus, das ist diejenige Hirnregion, die man auch das „Tor zum Gedächtnis“ nennt, weil dort die Übernahme von Informationen ins Langzeitgedächtnis vonstattenzugehen scheint, dass also der Hippocampus sehr fein auf Rhythmen reagiert.

Rhythmen? Nicht Bewegung?

Ja, genau. Es ist bestimmt nicht nur der Rhythmus – und was es sonst noch ist, ist eine interessante Frage –, aber erstmal ist Rhythmus offenbar wichtig. Es scheint so zu sein, dass bestimmte Formen der Bewegung, auch bestimmte Geschwindigkeiten, und vor allem die Regelmäßigkeit dieser Bewegungen, also der Rhythmus, sich auf die Hirnaktivität auswirken. Man kann das in sehr sorgfältigen Experimenten mit Elektroenzephalografie (EEG) nachweisen, dass gewisse Rhythmen offensichtlich für verschiedene Funktionen im Gehirn notwendig sind. Und dazu gehört eben auch die Funktion, die wir eben angesprochen hatten, nämlich wenn die Information ins Langzeitgedächtnis überschrieben wird.

Was für Rhythmen sind das?

Grob gesagt regelmäßige von mittlerer Geschwindigkeit. Wenn man Leute beobachtet, die beim Gehen lernen, dann gehen die nicht ganz langsam, sondern haben einen relativ flotten Schritt. Das berührt an dieser Stelle die Forschung, die man zu Musik und Lernen gemacht hat, da findet man Ähnliches. Es gibt eine bestimmte regelmäßige Geschwindigkeit, die Meditation oder tranceartige Zustände befördert. Das finden Sie in Tänzen, in solchen von alten schamanischen Kulturen bis zum modernen Techno, dass Trance durch einen gleichmäßigen Beat mittlerer bis höherer Geschwindigkeit angeregt wird. Das Gehirn scheint auf diese Rhythmen besonders anzusprechen und seine inneren Rhythmen, die das EEG misst, den äußeren Schrittmachern anzupassen. Das ist etwas, was man recht gut nachweisen konnte, als einen Mechanismus, der in der Tat das Lernen befördert. Das ist auch der Grund, warum man mit bestimmten Arten von klassischer Musik, mit Bach oder Mozart etwa, gut lernen kann, aber mit Free Jazz, mit John Coltrane, eben schlecht, weil dort das gleichmäßige Metrum nicht so gegeben ist. 

Heißt das, diese Rhythmen, sei es Musik oder flottes Schreiten, wirken auf das Gehirn konzentrationsfördernd?

Ja, man kann das als eine Art Resonanz beschreiben. Aber es geht hier nicht so sehr um Konzentration. Eher den Lernvorgang selbst. Ein Takt, der für die Gehirnfunktionen wichtig ist. Ähnliches finden Sie nebenbei gesagt ja auch bei Computern, die sind auch getaktet, haben eine Frequenz beim Ausführen ihrer Rechenaufgaben. Das ist wohl im Gehirn letztlich zumindest in Analogie auch so, dass Rhythmen gewisse Funktionen begünstigen. Und Gehen ist – neben musikalischer Rhythmusgebung – vielleicht der simpelste, direkteste Weg, diese Frequenzen für das Gehirn bereitzustellen. 

Gibt es evolutionstheoretische Annahmen darüber, wie es zu diesen Rhythmus-Präferenzen des Gehirns kommt?

Da kann man sich wissenschaftlich nicht ganz sicher sein. Aber wir können empirisch feststellen, dass der Mechanismus auch über Tierarten und Speziesgrenzen hinweg vorhanden ist, mithin als sehr alter Mechanismus gelten kann. Er ist auch schon bei sehr einfachen Tieren da. Und was man evolutionstheoretisch mit ziemlicher Sicherheit sagen kann: Gehirne entstehen gleichzeitig mit der Fähigkeit der räumlichen Bewegung. Gehirne, oder präziser gesagt Nervensysteme, kommen in der Evolution auf, um Bewegung zu ermöglichen. Ganz primitive Lebewesen, die sich nicht bewegen, die haben auch keine Nervensysteme. Und Bäume, die ja stationär sind, auch nicht. Die ersten Nervensysteme, die es gibt in der Evolution, die auch heute noch in sehr einfachen Tieren vorhanden sind, dienen dazu, einen Reiz, der von außen kommt, in eine Bewegungsreaktion zu überführen. Das, was man Reflex nennt. 

Nervensystem und Bewegungsfähigkeit gehören also zusammen?

Ja, so könnte man es sagen. Und beim Menschen ist natürlich noch viel dazugekommen, aber es ist wahrscheinlich, dass dieser Zusammenhang noch tief im menschlichen Gehirn verankert ist. Denn ein Gehirn kann letztlich auch nichts anderes als motorischen Output. Das mag die Philosophen schockieren, weil sie natürlich traditionellerweise Bewegung eher für etwas Niederes halten, aber auch schreiben oder reden ist ja Motorik … Und die grundlegendste Motorik ist die Ortsbewegung. In diesem Sinne ist das Gehirn entstanden, damit wir uns bewegen können. 

Unsere Gehirne sind also zum Gehen da?

Das ist natürlich überspitzt formuliert und sagt noch nichts darüber aus, welche Inhalte damit vermittelt werden. Aber zunächst mal ist das die raison d’être fürs Gehirn, dass es Informationen integriert und zu motorischen Handlungen führt. 

Das geht natürlich diametral gegen viele klassische philosophische Überlegungen zum reinen Denken! Bis weit in die Neuzeit stellt man sich ja als erste und edelste Funktion des Gehirns oder des Geistes das reine Erkennen vor, dem die körperliche Umsetzung von Handlungen sehr nachgeordnet ist …

Evolutionsbiologisch ist das eindeutig falsch herum gedacht. Es muss erst mal einen Körper geben, der sich bewegt oder bewegen kann. Wenn man sich experimentell die Aktivität von Hirnarealen anschaut – und ich weiß, das ist jetzt ein bisschen grob, mir ist schon klar, dass Hirnaktivität nicht gleich Gedanken ist, aber natürlich hängt das zusammen, es gibt einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen messbaren Hirnfunktionen und dem Zustandekommen von relevanten gedanklichen Inhalten –, dann kann man feststellen, dass es häufig im Hirn keinen Unterschied macht, ob man sich eine Handlung nur vorstellt oder sie auch ausführt. Und das ist ein interessanter Punkt, weil das natürlich irgendwie auch bedeutet, dass diese ganze Maschinerie, die wir genauso für reines Denken verwenden, letztendlich natürlich immer auch die ist, die für scheinbar so primitive Sachen wie Bewegung zuständig ist. 

Also ist abstraktes Denken nur eine abgeleitete Form der praktischen Funktionen unseres Gehirns, die darin besteht, den Körper in angemessener Art und Weise zu bewegen?

Es ist eine verfeinerte Nutzung … 

Und das abstrakte Denken behält darum letztlich aufgrund dieser Herkunft und dieser Grundfunktion des Gehirns eine Affinität zur Bewegung, zum Gehen?

Ja, das könnte man genau so sehen. 

Das würde ja wiederum fast der gesamten abendländischen Konzeption von Lernen als Stillsitzen widersprechen …

Das tut es eindeutig. Und es betrifft ja nicht nur Schüler, die stillsitzen sollen, sondern auch einen großen Teil der heutigen Berufstätigkeit, dieses Am-Computer-Sitzen den ganzen Tag: Das ist für das Gehirn eine besondere Art der Deprivation … Es gibt ja in letzter Zeit durchaus pädagogische Strömungen, die diesen Befund aufnehmen, wo dann die Kinder alle 20 Minuten aufstehen müssen und in der Klasse rumrennen, das kann dann manchmal auch ins Extrem kippen. Aber der Grundgedanke ist natürlich richtig. Empirisch ist das schwer zu untersuchen, aber dass Bewegung und natürlich auch Sport durchaus etwas zu akademischem Erfolg beitragen, dafür gibt es viele Hinweise. 

Wenn – wie Sie uns jetzt erklärt haben – das Gehirn aus historischen Gründen eine Affinität zum Gehen hat, und dieses ihm auch hilft beim Lernen und Denken: Hat es auch eine Bedeutung für die Instandhaltung des Gehirns, des Denkens? Also mit Blick auf mögliche Verfallserscheinungen im Alter, Stichwort Demenz?

Ja, das ist genau das Thema, zu dem wir arbeiten. Welche Bedeutung hat Bewegung ganz allgemein dafür, dass ich mein Gehirn lebenslang funktionstüchtig und denkfähig halte? Und ganz grundsätzlich gilt, dass es fast gar nichts gibt, bei dem körperliche Aktivität nicht unglaublich fördernd, ja sogar lebensverlängernd wirkt.

Aktivität im Sinne des täglichen Spaziergangs oder im Sinne von richtigem Sport, Fitnessstudio und so?


Es gibt keine breiten empirischen Studien speziell übers Spazierengehen. Was der überwältigende Teil der empirischen Untersuchungen aber zeigt, ist, dass erstaunlich wenig zusätzliche Aktivität schon sehr viel hilft, woraus man durchaus folgern kann, dass regelmäßiges Gehen unbedingt etwas bringt. 

Kann man daraus umgekehrt folgern, dass die Menschheit in der an Schreibtischen und auf Sofas sitzenden Spätmoderne weniger denkfähig wird, weil sie sich weniger bewegt?

Schwer zu sagen. Die Lage ist komplizierter. Man muss ja immer mitbedenken, dass wir einen demografischen Wandel haben, konkret: Wir haben heute sehr viel mehr alte Menschen als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Lebenserwartung wächst jedes Jahr um drei Monate! Wenn wir nun also wahrnehmen, dass es mehr Demenzerkrankte gibt, dann müssen wir das ins Verhältnis zum Älterwerden setzen. Denn wenn man innerhalb der Alterskohorten schaut, nimmt das Erkrankungsrisiko für Demenz ab, Sie und ich werden weniger wahrscheinlich an Demenz erkranken als unsere Eltern. Und da stellt sich die Frage: Was ist in den letzten Jahren passiert? Die Genetik hat sich nicht verändert. Dann muss es die Umwelt oder die eigene Aktivität sein. Das lässt sich jetzt nicht so leicht auseinanderdröseln, aber die Schlussfolgerung, dass es das gesteigerte Bewusstsein für Gesundheit und mehr Aktivität ist, wäre einfach zu ziehen. Das kann man natürlich so ohne Weiteres nicht beweisen. Aber der Effekt ist da.

Gibt es einen Unterschied beim Gehen, was die Art des Denkens betrifft? Funktioniert es besser eher für das schweifende, kreative Denken, das mit Einbildungskraft, Fantasie zu tun hat, oder eher für das grübelnde, analytische, das versucht ein Problem zu lösen?

Das weiß ich nicht. Aus rein anekdotischer Beobachtung würde ich sagen, Gehen hilft bei beidem. Die meisten werden das tagträumerische, ausschweifende Denken beim Gehen kennen, also dieses quasi Baumelnlassen des Geistes, der seinen Gedanken dann frei nachhängt. Umgekehrt beobachtet man auch Schachspieler, die herumgehen, um ein Problem analytisch zu durchdenken, und ich kenne aus meiner eigenen Erfahrung, dass, wenn ich mit meiner Schreiberei nicht weiterkomme, ich gerne aufspringe und herumgehe. Man kann damit auch eine Denkblockade lösen, da hilft Bewegung fast immer.


Weil Bewegung das Gehirn zurückbringt zu seiner vertrauten und ursprünglichen Funktion, nämlich der Bewegung?

Ja, das ist schön gesagt. Es gibt allerdings auch das umgekehrte Phänomen, nämlich den Ressourcenkonflikt. Mein Berliner Kollege Ulman Lindenberger hat das untersucht. Er hat Leute auf dem Laufband Aufgaben lösen lassen. Ziemlich schwierige Navigationsaufgaben. Und die Beobachtung war, dass vor allem ältere Leute, wenn etwas zu schwierig wird beim Nachdenken, die Tendenz haben, stehen zu bleiben. Das Pendant dazu kennt man auch aus dem Alltag: Wenn alte Leute – oder Philosophen – spazieren und ins Gespräch vertieft sind, dann bleiben sie manchmal stehen, um einen besonders schwierigen Gedanken richtig zu fassen … Es scheint also einen Ressourcenkonflikt zu geben: In gewissen Momenten zieht das Gehen zu viel Energie ab, um einen Gedanken noch klar zu fassen.

Also nicht ganz jeder Gedanke kann ergangen werden.

Nein. Aber ganz ohne Zweifel die allermeisten. •

 

Gerd Kempermann (*1965)

Der Professor am Zentrum für Regenerative Therapien der Technischen Universität Dresden und Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Dresden ist einer der führenden deutschen Stammzell- und Hirnforscher. Sein Buch „Adult Neurogenesis“ (2011) gilt international als Standardwerk; für ein breiteres Publikum schrieb er „Neue Zellen braucht der Mensch. Die Stammzellforschung und die Revolution der Medizin“ (Piper, 2008) und „Die Revolution im Kopf. Wie neue Nervenzellen unser Gehirn ein Leben lang jung halten“ (Droemer, 2016)

 

Lesen Sie zum Thema auch: Eine Top 5 der philosophischen Flaneure.

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