Humanistische Bildungsmodelle
Wie soll man ein Kind erziehen? Mit Strenge oder Nachsicht? Orientiert an Natur oder Kultur? Fünf philosophische Antworten von der Renaissance bis zur Aufklärung.
Leon Battista Alberti (1404-1472)
Wer ist Alberti?
Alberti stammt aus der Hafenstadt Genua und zählt zu den wichtigsten Denkern der italienischen Renaissance.
Werk
Vom Hauswesen (Della Famiglia) (1434)
Prinzipien
Alberti will die Jugend zu Bürgern und nicht nur zu Gläubigen erziehen. Er formuliert eine Pädagogik abseits von Machtverhältnissen und Autorität. Die Erziehung richtet sich am Kind und an den Besonderheiten seines Alters aus. An die Stelle der Disziplin soll der antike Autoritätsbegriff rücken, der nicht durch Herrschaft und Gewalt begründet ist.
Methode
Die Erziehung basiert auf der Liebe und Sanftmütigkeit der Eltern gegenüber ihrem Kind. Um die wahre Persönlichkeit ihres Sprösslings zu erkennen und zu fördern, müsse sie lernen, ihr Kind in seiner Individualität zu erkennen.
Erasmus von Rotterdam (1466-1536)
Wer ist Erasmus?
Der niederländische Priester und Philosoph war ein großer Verfechter der humanistischen Kultur.
Werk
De civilitate morum puerilium (1530)
Prinzipien
In einer von negativen Einflüssen geprägten Welt muss ein sicherer Rahmen für das Kind geschaffen werden. Das familiäre Umfeld ist wichtig, doch braucht die erfolgreiche Erziehung einen externen Lehrer. Kultur und Moral sind Teil der Erziehungskunst, die nicht ohne das Erlernen von guten Manieren auskommt.
Methode
Damit das Kind lernt, sich in der Gesellschaft angemessen zu verhalten, ist das Erlernen von Umgangsformen ein wichtiger Teil der Pädagogik. Als Erziehungsmethode setzt Erasmus auf positive Verstärkung durch Lachen, Belohnung, Zuneigung und das Spiel.
Michel de Montaigne (1533-1592)
Wer ist Montaigne?
Michel de Montaigne war Philosoph, Magistrat und später Bürgermeister von Bordeaux. Er selbst wurde nach den humanistischen Prinzipen erzogen.
Werk
Die Essais (1572-1592). Zwei Kapitel sind der Erziehung gewidmet: „Über die Schulmeister“ (I, 25) und „Über die Knabenerziehung“ (I, 26).
Prinzipien
Montaigne setzt in seinem Erziehungskonzept auf einen wohlgeformten statt auf einen wohlgefüllten Kopf. Sein Anspruch zielt darauf ab, die Menschen besser und nicht bloß immer mehr zu bilden. Doch obwohl die Erweckung des Geistes und des eigenständigen Denkens von großer Bedeutung ist, darf nicht auf die enzyklopädische und universelle Bildung verzichtet werden.
Methode
Moralisch und intellektuell denken zu können, ist wichtiger als ein verständnisfreies Auswendiglernen. Montaignes Methode ist pragmatisch. Das Kind muss in der Erziehung berücksichtigt und mit der Welt konfrontiert werden, um selbst aktiv werden zu können.
Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)
Wer ist Rousseau?
Der in Genf geborene Philosoph ist ein Vorläufer der Romantik. Rousseau steht abseits der aufklärerischen Tradition und erhebt die Natur zum Vorbild.
Werk
Émile oder über die Erziehung (1762).
In seinem pädagogischen Hauptwerk beschreibt Rousseau sein Erziehungsideal anhand des fiktiven Jungen Émile. Seine eigenen Kinder hat der Philosoph verlassen.
Prinzipien
Im Kampf gegen die Sittenverderbnis will Rousseau einen freien Menschen schaffen und führt den Begriff des Gefühls in die Erziehung ein. Das Kind soll selbst denken und fühlen und in Verbindung mit der Natur und anderen Menschen lernen. Aufgabe des Vormunds ist es, den Umgang des Kindes zu gestalten und zu kontrollieren.
Methode
Das Kind muss im Einklang mit der menschlichen Natur erzogen werden. Aus diesem Grund variiert die Pädagogik je nach Alter. In den ersten beiden Lebensjahren soll sich auf die körperliche und sinnliche Erziehung des Kindes fokussiert und seine Kräfte gefördert werden. Bis zum 12. Lebensjahr muss das Kind von negativen Einflüssen, Lastern und Fehlern bewahrt werden. Erst im Alter von 12 bis 15 soll das Kind in Kontakt mit der Welt gebracht werden. Im letzten Erziehungsschritt bis zum 20. Lebensjahr wird das Kind moralisch und religiös erzogen, wodurch seine Leidenschaften zum Vorschein kommen.
Immanuel Kant (1724-1804)
Wer ist Kant?
Der Philosoph der Aufklärung ist der Begründer des deutschen Idealismus und wurde unter anderen von Rousseau beeinflusst.
Werke
Kritik der praktischen Vernunft (1788).
Über die Erziehung (1776-1787).
Prinzipien
Durch eine Erziehung zur Freiheit soll es dem Menschen ermöglicht werden, seine Abhängigkeit und Unmündigkeit zu überwinden und ein autonomes Leben zu führen.
Methode
Die moralische Erziehung erfolgt nicht mehr durch festgelegte Gebote. Wir müssen uns in jeder Situation fragen, ob unser Handeln zu einer allgemeinen Maxime werden und somit universalisiert werden kann. Um die Erziehungsziele Freiheit und Autonomie zu erreichen, müssen drei pädagogische Komponenten berücksichtigt werden: Pflege, Disziplin und Unterweisung in Kultur. •
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