Ist das Angeln zum Exzess verdammt?
Ist Angeln eine philosophische Aktivität? Das behaupten zumindest viele Praktiker (insbesondere die sogenannten Fliegenfischer und Karpfenangler) und auch zahlreiche Denker. Fernab von der heutigen industriellen Überfischung sehen sie darin eine Kunst der Geduld und der Mäßigung. Ein Überblick.
„Diese Tätigkeit reizt mich immer wieder, weil sie eine Möglichkeit ist, sich mit der Natur vertraut zu machen – nicht nur mit den Fischen, sondern mit dem Wasser und der Landschaft, die ich sonst nicht in demselben Licht sähe, und gelegentlich, wenn auch nicht ganz so oft, auch weil ich mit Fisch ein wenig Abwechslung in meine Ernährung bringen möchte." Naturalistische Neugier auf der einen Seite, Geschmackserlebnis auf der anderen: Mit diesen Worten beschreibt Thoreau in Denken mit Henry David Thoreau die Freuden des Angelns.
Lebensnotwendiges Bedürfnis ... und Freude an der Jagd
"Ich mag es manchmal, mich des üppigen Lebens zu bemächtigen [...] Es ist das Neue und Abenteuerliche, das mich dazu bewegt", fügte er hinzu. Am Bach erlebte Thoreau, dass er "den selben Notwendigkeiten gehorcht wie die ersten Fischer" und von einem natürlichen "Instinkt" geleitet wird. Doch etwas bremst seinen Enthusiasmus immer wieder. In Walden (1854) fügte er hinzu: "Ich habe in den letzten Jahren mehrmals festgestellt, dass ich nicht fischen kann, ohne ein wenig von meiner Selbstachtung zu verlieren.“
Und das aus gutem Grund, wie er zu erklären versucht: "Unbestreitbar gibt es in mir diesen Instinkt, der zu den niederen Ordnungen der Schöpfung gehört; dennoch empfinde ich mich mit jedem Jahr weniger und weniger als Fischer, obgleich ich nicht mehr Menschlichkeit, ja nicht einmal mehr Weisheit besitze [...]. Aber ich verstehe, dass ich, wenn ich in einer Wüste leben müsste, mich wieder versucht sehen würde, für immer Fischer und Jäger zu werden." In Thoreaus Situation – in der der Konsum von Fisch für seine Versorgung genügt – scheint das Angeln den Instinkt des Jägers quasi kostenlos zu pflegen, ein Vergnügen, aber ohne die zwingende Notwendigkeit des Tötens.
Es ist auch dieses ungesunde Freizeitvergnügen, das der Theologe Henry Ward Beecher zur gleichen Zeit in The Morals of Fishing scharf verurteilte: "Es ist nicht richtig, das Leiden irgendeiner Kreatur zu einer Quelle der Befriedigung zu machen." Er verurteilte diese Form der "Folter", die das "reine Vergnügen des Fischers" bedeutet, sprach aber diejenigen Angler frei, die "nicht zum Vergnügen" fischen, sondern um ihren Lebensunterhalt und damit ihr Überleben zu sichern.
"Fischen heißt, in der Hoffnung zu leben"
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Was reizt uns am Exzess?
Wer sich ihm hingibt, überschreitet letzte Grenzen, begibt sich in eine andere Welt, knockt sich aus. Und doch hat der Exzess in unserer Leistungsgesellschaft Hochkonjunktur. Bestes Beispiel: Das in diesen Tagen beginnende Oktoberfest. Der Schriftsteller und Musiker Sven Regener und die Philosophin Mirjam Schaub über das Tier in uns allen
Hegel im Überblick
Trotz aller Systematik fällt es oft schwer, den Überblick über Hegels Philosophie zu behalten. Ein Glück, dass Millay Hyatt, die selbst zu Hegel promovierte, drei seiner großen Werke im Überblick darstellt. Das scheinbar Unmögliche wird so möglich: die Wissenschaft der Logik, die Phänomenologie des Geistes und die Grundlinien der Philosophie des Rechts in ihren Grundzügen auf einer Seite zu erschließen.

Kirgistan: Die Geduld der Leoparden
Tief in der Bergwelt Kirgistans lebt eine der scheuesten Kreaturen des Globus. Der Philosoph Baptiste Morizot hat sich auf die Suche nach dem Schneeleoparden gemacht. Während er den Fährten des „Phantoms der Berge“ nachspürte, erfuhr er eine erhabene Geduld in sich, zu der wir Menschen genau wie die großen Raubtiere imstande sind.
Kühle Gefühle
Der stoische Idealzustand ist die Apathie, also die Emotionslosigkeit. Um diesen zu erreichen, beschäftigen sich die Stoiker allerdings geradezu exzessiv mit Emotionen. Und greifen zu allerhand definitorischen Tricks.

Palmyras erhabener Schrecken
Die Eroberung Palmyras durch den Islamischen Staat hat die Welt erschüttert. Der antike Philosoph Longinos, Sohn dieser Stadt, liefert die beste Erklärung, warum uns solche Exzesse so schockieren
Wer ist mein wahres Selbst?
Kennen Sie auch solche Abende? Erschöpft sinken Sie, vielleicht mit einem Glas Wein in der Hand, aufs Sofa. Sie kommen gerade von einem Empfang, viele Kollegen waren da, Geschäftspartner, Sie haben stundenlang geredet und kamen sich dabei vor wie ein Schauspieler, der nicht in seine Rolle findet. All diese Blicke. All diese Erwartungen. All diese Menschen, die etwas in Ihnen sehen, das Sie gar nicht sind, und Sie nötigen, sich zu verstellen … Wann, so fragen Sie sich, war ich heute eigentlich ich? Ich – dieses kleine Wort klingt in Ihren Ohren auf einmal so seltsam, dass Sie sich unwillkürlich in den Arm kneifen. Ich – wer ist das? Habe ich überhaupt so etwas wie ein wahres Selbst? Wüsste ich dann nicht zumindest jetzt, in der Stille des Abends, etwas Sinnvolles mit mir anzufangen?
Lützerath: Wer ist hier undemokratisch?
Als Protest gegen den geplanten Abriss des Dorfes Lützerath zur Abtragung von Kohle kam es zu zahlreichen Blockaden durch Klimaaktivisten. Ihr Widerstand wurde von vielen Politikern als antidemokratisch angeklagt. Schaut man jedoch genau hin, zeigt sich: Die vermeintlichen Demokraten sind die eigentlichen Antidemokraten.

Heino Falcke: „Egal, was wir messen, es kommt immer Einstein heraus“
Ist das Standardmodell der Teilchenphysik widerlegt? Das zumindest legen jüngste Messungen des magnetischen Moments von sogenannten Myonen nahe. Doch der renommierte Astrophysiker Heino Falcke gibt im Interview zu bedenken: Womöglich handelt es sich auch nur um einen aus Frustration gespeisten Sensationseffekt.
