Jan-Werner Müller: „Der Kulturkampf der Republikaner ist ein Ablenkungsmanöver“
Präsident Trump erkennt seine Wahlniederlage noch immer nicht an und verschärft so die Spaltung des Landes. Was hinter der polarisierenden Politik der Republikaner steht und warum die Demokraten eine wichtige Chance vergeben haben, um diese zu stoppen, erläutert der in Princeton lehrende Populismusforscher Jan-Werner Müller im Gespräch.
Philosophie Magazin: Herr Müller, die USA gilt derzeit als so gespalten wie nie zuvor. Hält diese Einschätzung einer historisch vergleichenden Betrachtung stand?
Jan-Werner Müller: Wie selten zuvor würde ich unterschreiben. Nie wäre aber deutlich zu viel gesagt. Denken Sie nur an den Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Eine größere Spaltung ist wohl kaum vorstellbar. Um die aktuelle Situation allerdings richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, die Spaltung nicht als quasi-naturgegebene Tatsache zu betrachten. Die Erzählung von kulturellen Unterschieden zwischen Menschen aus dem Flyover Country und den Eliten an den Küsten halte ich letztlich für eine apolitische Betrachtungsweise.
Wieso apolitisch?
Weil sie außer Acht lässt, dass es natürlich kulturelle Unterschiede gibt, die hoch-politisierte Spaltung in vermeintlich „wahre Amerikaner“ und die kosmopolitischen Anderen das dezidierte Projekt einer der beiden politischen Parteien ist. Die Art und Weise, wie die Republikaner über die Demokraten reden, stellt keine Konstante in deren Geschichte dar, sondern nimmt ihren Ausgang in den neunziger Jahren. Der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, versuchte die Demokraten als solche als illegitim zu brandmarken und warf ihnen vor, die Werte Amerikas zu verraten. Nachdem Medien wie Fox News und verschiedene Talk Radio-Stationen merkten, dass man damit nicht nur politisch, sondern auch monetär Kapital schlagen kann, verstärkte sich der Trend nochmals. Polarisierung ist auch Big Business – und der permanente Kulturkampf der Republikaner lenkt zudem von ihrer eigentlich sehr unpopulären Steuer- und Wirtschaftspolitik zugunsten des obersten einen Prozents ab.
Jüngst haben Sie in einem Essay eine „Ent-Trumpisierung“ gefordert. Was meinen Sie damit?
Zweierlei. Erstens muss die nun abgewählte Regierung zur Rechenschaft gezogen werden, in Sachen Korruption und klarer Menschenrechtsverletzungen.
Aber ist die Erholung von einem Verfall der Demokratie historisch nicht gerade durch eine Bereitschaft gekennzeichnet, ehemalige Machthalter ungestraft weiterleben zu lassen?
An sich schon. Nur: Bei Nixon war man gnädig, bei Reagans Iran-Contra-Skandal ebenso, und auch George W. Bush ist mit Folter letztlich problemlos durchgekommen – alles wohl mit negativen Langzeitwirkungen für die Demokratie. Ob es letztlich Gerichtsverfahren gibt, ist eine offene Frage. Auf jeden Fall sollte aber idealerweise eine Kommission untersuchen, welche Schwachstellen des Systems Trump für seine Zwecke nutzen konnte – und wie man diese Stellen ausbessern könnte. Aber dann sind da noch die Verfahren, welche Trumps Geschäfte vor der Amtszeit betreffen – an denen arbeiten Staatsanwälte ja schon länger. Wenn hier beispielsweise Steuerhinterziehung keine Folgen hätte, würden die Bürgerinnen und Bürger die Lektion lernen: den Kleinen geht’s an den Kragen, die Großen lässt man laufen. Es geht aber nicht nur immer um Trump: Wichtig ist, dass die Republikaner ihre Gegner nicht als existentielle Feinde darstellen. Dann würde auch wieder deutlich werden, dass Spaltungen per se keine Gefahr für eine Demokratie darstellen, die ja keine Konsensveranstaltung ist. Im Gegenteil: Der Clou der Demokratie ist unter anderem, dass man mit Konflikten auf friedliche Weise umgehen kann. Der Trumpismus allerdings verletzt zwei entscheidende Grundprinzipien: Er spricht Teilen der Bevölkerung ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft grundsätzlich ab und leugnete Tag für Tag offenkundige Fakten. Auch wenn uns beides nach vier Jahren beinahe normal erscheint – das ist es nicht!
Wo wir schon wieder über Trumpismus sprechen: Was bedeutet die Wahlniederlage des Präsidenten für andere rechtspopulistische Machthaber weltweit?
Auch wenn man die Demokratieförderung heuchlerisch finden kann, die die USA lange Zeit betrieben haben, kann man ihren Einfluss kaum verleugnen. Was wir in den letzten vier Jahren erlebt haben, ist praktisch das Experiment, diese weitgehend auszusetzen und Autokraten zu verstehen zu geben: Macht, was ihr wollt. Und viele autoritäre Herrscher haben den Wink verstanden und Trumps Politik als Carte Blanche für sich selbst gesehen. Wo man früher zweimal überlegt hätte, ob man grobe Menschenrechtsverletzung begehen kann, waren al-Sisi, Duterte und Modi nun deutlich beherzter.
Sie wirken, als würde sich Ihre Analyse darin allerdings nicht erschöpfen.
Nein, weil ich wenig von der oft angeschlossenen Folgerung halte, dass der Machtverlust Trumps jetzt auch direkt zum Machtverlust anderer Rechtspopulisten und Autokraten führen wird. Sie erinnern sich an die Artikel 2016 und 2017, als die Rede von einer „populistischen Welle“ war. Viele nahmen an, dass die Wahl Trumps eine Art Dominoeffekt an Rechtspopulismus in Europa und speziell in Österreich und Frankreich auslösen würde. Wie wir wissen, ist das nicht geschehen. Und wie die Annahme eines kausalen Effekts in die eine Richtung falsch ist, gilt dies auch für die entgegengesetzte. Von den USA geht zwar noch immer eine große symbolische Strahlkraft aus, die lokalen und personellen Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern wiegen allerdings noch immer wesentlich schwerer.
Kommen wir auf die Demokraten zu sprechen. Halten Sie den moderaten Kurs Joe Bidens für den richtigen Weg? Oder wäre eine Form von Gegenpolarisierung die bessere Wahl gewesen, wie ihn Bernie Sanders vertreten hätte?
Ich glaube, dass die Demokraten eine entscheidende Chance verpasst haben. Denn durch die Pandemie wurden wie nur selten zuvor die eklatanten Schwächen im amerikanischen Gesundheitssystem und anderen Bereichen des Lebens auch für diejenigen offenbar, die sich sonst gut vor diesen Problemen abschirmen können. Es hätte also für die Demokraten die Möglichkeit gegeben, nicht nur zu sagen, dass es das oberste Ziel ist, diesen unanständigen Rechtspopulisten abzuwählen, sondern diese Wahl zu einem Moment der Besinnung zu machen. Die Demokraten hätten auf Amerika schauen müssen wie auf ein Röntgenbild, auf dem Corona viele Schwächen deutlich sichtbar gemacht hat. Die Haarrisse, wie auch die Splitterbrüche. Dort hätten sie ansetzen und eventuell eine wirkliche Veränderung herbeiführen können.
Getreu dem Klischee hätten die Demokraten die Krise also mehr als Chance begreifen sollen?
Sie haben vorhin vom moderaten Kurs Joe Bidens gesprochen, wenn ich hier nochmals einhaken darf: Sicher ist er in einigen Hinsichten moderat. Allerdings haben die Demokraten auch dieses Jahr praktisch ihren Fehler von 2016 wiederholt. Denn wie auch Clinton hatte Biden wirtschafts- und sozialpolitisch keine klare Botschaft, wohingegen es Trump bis heute gelingt, sich glaubhaft als erfolgreicher Geschäftsmann wie auch als Verteidiger der Arbeiterschaft zu inszenieren.
Doch auch so haben Trumps Attacken gegen Biden, in denen er ihn als Sozialisten bezeichnete, deutliche Wirkung gezeigt. Wären diese beispielsweise gegen Bernie Sanders nicht noch effektiver gewesen?
Ja und nein. Natürlich hätte die republikanische Wahlkampfmaschine kein Problem damit gehabt, Sanders als Kommunisten abzustempeln, keine Frage – oder auch Elizabeth Warren, die das am besten durchdachte Programm hatte. Allerdings deutet ja das, was Sie gesagt haben, auch noch in eine andere Richtung. Dass nämlich Trumps Angriffe auch bei Biden Wirkung zeigten, macht deutlich, dass fast egal zu sein scheint, wem Sozialismus vorgeworfen wird. Diese Rhetorik hat sich abgenutzt. Sie verfängt zwar noch immer bei einigen Menschen, diese würden die Demokraten allerdings ohnehin wohl nicht wählen. Egal, wer der Kandidat ist. Ich würde also nicht sagen, dass Sanders oder auch Warren sicher gegen Trump gewonnen hätte, würde aber zu bedenken geben, dass Sanders und Warren, anders als Biden, ganz andere Impulse gesetzt hätten.
Welche Impulse wären das gewesen?
Sanders oder auch Warren hätten vermutlich eine größere Kraftanstrengung in Richtung Gemeinsamkeit unternommen. Denn wir alle wissen, dass Reichtum einen vor vielem schützen kann. Vor diesem Virus allerdings offenkundig nicht, außer man ist so wohlhabend, dass man sich in seine Villa oder auf seine Yacht zurückziehen kann, mit Bediensteten, die ständig getestet werden. Aber der Großteil der Menschen ist verwundbar und teilt nun auch die kollektive Erfahrung der Verwundbarkeit in der Pandemie.
Hätte das denn wirklich funktioniert? Trumps Umfragewerte deuten ja schon darauf hin, dass die Menschen ihm nicht die Schuld an der außer Kontrolle geratenen Pandemie in den USA geben, oder?
Das kann sein. Viele nahmen COVID vielleicht als eine Art Naturkatastrophe wahr und nicht auch als Ergebnis politischen Versagens. Ähnlich war es übrigens auch bei Woodrow Wilson, dessen Ansehen kaum unter der Spanischen Grippe litt. Allerdings hätten Sanders und Warren auch die ökonomischen Faktoren und Ungleichheiten betonen können, die die Krise offenbart. Sie hätten effektiver aufgezeigt, dass man sich weder metaphorisch noch konkret durch Gated Communities schützen kann. Das wäre meiner Meinung nach ein Framing gewesen, das durchaus erfolgsversprechend gewesen wäre – zumindest auf längere Sicht. •
Jan-Werner Müller lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Princeton. Mit seiner Studie „Was ist Populismus?“ (Suhrkamp) legte er 2016 ein international viel beachtetes Werk zum Thema vor.
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