Leidenschaft und Leichen
Rose Glass hat mit ihrem zweiten Spielfilm Love lies bleeding einen stilvollen Thriller geschaffen, der von der Amour fou zweier junger Frauen handelt, die keine Grenzen kennen.
Ein treibender 1980er-Jahre-Soundtrack, düster-schöne Bilder von schäbigen Gebäuden unter weitem Sternenhimmel, von aufgepumpten, venendurchzogenen Muskeln, von übermüdeten und überspannten Gesichtern: Love Lies Bleeding (Regie: Rose Glass) ist ein Film, der von seiner Stimmung lebt. In einem Genremix aus Romanze, Thriller und Southern Gothic erzählt er die Geschichte von Lou (Kristen Stewart) und Jackie (Katy O’Brian). Lou lebt in einer Kleinstadt in New Mexico und arbeitet im Fitnessstudio ihres schwerkriminellen Vaters Lou Sr. (Ed Harris), wo sie nebenbei Steroide vertickt und verstopfte Toiletten reinigt. Die Begegnung mit Jackie, einer Bodybuilderin auf der Durchreise nach Las Vegas, lässt die mehr schlecht als recht aufrechterhaltene Ordnung ihres Lebens ein- und das Chaos offen ausbrechen: Zwischen den beiden entsteht eine Amour fou, die zunehmend unberechenbar wird. Als Jackie schließlich den gewalttätigen Ehemann von Lous Schwester umbringt, ist eine Schwelle überschritten und die Leichen häufen sich. Im Zentrum des Films steht somit die Rücksichtslosigkeit leidenschaftlicher Liebe, die sich um das Allgemein-Gute und den kategorischen Imperativ nicht schert, aber immerhin nicht so geschäftsmäßig mordet wie Lous gefühlskalter Vater. Lous Verstrickung mit ihrem Erzeuger lässt sich als weiteres Thema ausmachen: Während im klassisch psychoanalytischen Verständnis zwischen Vater und Tochter eine Begehrensbeziehung besteht, bringt die Tochter hier den Vater beinahe um, entscheidet sich aber im letzten Moment dafür, ihn doch lieber vom FBI verhaften zu lassen – was mit Freud gelesen wiederum eine ironische Pointe ist, da für diesen der Vater selbst die Autorität der staatlichen Ordnung verkörpert, sozusagen ein kleiner Polizist ist.
Love lies bleeding reiht sich ein in den derzeitigen Retrotrend, der Filme bevorzugt in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren spielen lässt und sich auch an filmischen Vorbildern dieser Zeit orientiert. So hat man manchmal das Gefühl, Love lies bleeding beziehungsweise Versatzstücke daraus schon gesehen zu haben, freilich mit anderer (männlicher, heterosexueller) Besetzung. Offensichtlich spricht aus dieser Art Film das zeitgenössische Bedürfnis nach Repräsentation starker Frauen und queerer Figuren. Interessanterweise zeigt sich hier zugleich die Faszination für die eigentümliche Sinnlichkeit einer Männerwelt, die von Schusswaffen und Muskelkraft, von Dreck, Schweiß und Gewalt geprägt ist. •
„Love lies bleeding“, Regie: Rose Glass, Kinostart: 18.07.2024
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