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Bild: Florian Schmetz (Unsplash)

Impuls

Mut zur Angst

Hans Hütt veröffentlicht am 08 April 2021 5 min

Allein mit Informationen, Apps oder digitalisierten Gesundheitsämtern lässt sich die Pandemie nicht bekämpfen. Es braucht ebenso die Vorstellungskraft für andere Wege des Zusammenlebens.

 

Vom Philosophen Günther Anders, der zeit seines Lebens gegen die Selbstgefährdung des Menschen kämpfte, wurde die Formel „Mut zur Angst“ geprägt. Ein Begriff, der in Pandemiezeiten seine Sprung- und Begriffskraft quasi augenblicklich entfaltet. Anders' Idee von der Selbstgefährdung macht anschaulich, womit wir es in einer pandemischen Lage zu tun haben. Mit dem Nudging, also dem „Anstupsen“ zu bestimmten Verhaltensweisen, ist es ebenso wenig getan wie mit Podcast-Abos des Virologen Christian Drosten. Drostens Publikumserfolg belegt den mehr oder weniger gelingenden Versuch vieler Menschen, sich auf der Höhe verfügbarer Informationen zu halten.

Nun wäre es aber nicht nur ein semantisches Missverständnis, das Management der Pandemie zu einem Informationsproblem zu verniedlichen. Mehr desgleichen erzeugt keineswegs ein höheres Maß an Folgebereitschaft gegenüber den geltenden seuchenrechtlichen Regeln durch die gefährdeten Gefährder. Wie schützen wir uns – vor uns selbst und unseresgleichen? In der Aids-Pandemie, für deren Krankheitsbilder es auch vierzig Jahre nach ihrem Bekanntwerden noch keine Heilung gibt, sondern nur ein Einfrieren des Virus knapp unter seine Nachweisbarkeitsgrenze, schien es anfangs denkbar einfach.

Es galt den Gebrauch von Kondomen zu popularisieren. Mit neuesten präventiven Medikamenten ist es inzwischen sogar möglich, die Übertragung des HI-Virus zu verhindern. Die dafür entstandene Kurzformel PrEP, für „Prä-Expositions-Prophylaxe“, klingt in ihrer Einsilbigkeit wie ein Imperativ, wie ein Peitschenschlag mit den Lippen: Seid – und macht euch – bereit, um euch und eure Partner zu schützen. Doch wie lange geht das gut? Wie lange spielt das Virus mit, bis es neue Wege findet, die präventiven Vorkehrungen zu umgehen?

Die Virologen berichten, dass die bösartigsten Mutationen von SARS-COV-2 in immungeschwächten Leibern entstehen. Sie seien wie ein Nährboden oder wie eine Spielwiese für das Virus, um seine Zerstörungs- und Übertragungskraft zu optimieren. Bei SARS-CoV-2 haben wir es mit einem Virus zu tun, das fast noch schneller als die atemberaubend schnelle Entwicklung von Impfstoffen sich unentwegt selbst optimiert, um uns noch besser zu schaden.

 

Eine andere Form der Resilienz

 

Die Mutationsfreude des Virus ließe sich daher wie ein höhnisches Spiegelbild der unentwegten menschlichen Selbstoptimierung begreifen. Um diesen Teufelskreislauf zwischen Ausbeutung und Verwertung zu durchkreuzen, gilt es auch diese Praxis zu überdenken. Die Verbesserung des Menschen benötigt Parameter, die ihren Fortschritt an der Zahl derjenigen Menschen misst, die sich ihr verweigern. Sind diejenigen, die sich der Optimierung verweigern oder entziehen, die wahrhaft guten oder schlechten Menschen? Die pessimistische Antwort lautete „weder – noch“. Die optimistische „sowohl – als auch“. Ohne diese Dialektik gelangten wir nicht weiter, sondern machten uns nur der geltenden marktkonformen Praxis untertan.

Was macht die Optimierung im Detail aus? Wäre sie nur sportlich, etwa in der Vorbereitung darauf, den Kanal nicht mit dem Zug zu unter- oder mit der Fähre zu überqueren, sondern ihn zu durchschwimmen, wäre dagegen nur wenig einzuwenden. Tatsächlich geht es in der Selbstoptimierung eher um die weitsichtige Unterwerfung unter die Kräfte des Marktes im Spiel zwischen Angebot und Nachfrage. Ist sie passgenau, macht sie sich bezahlt, wenn nicht, muss sie deswegen nicht für die Katz' sein.

Das Virus äfft die menschliche Kultur und Ökonomie nicht nach, es hat auch keinen Sinn für Komik oder Absurdität. Seine Logik folgt einem Ziel: die Maximierung des anrichtbaren Schadens, ohne ihn selber zu bemessen. Es reflektiert nicht. Es greift unsere Körper an der Stelle an, an der Geist und Leib zusammenfinden: im Pneuma, dem Atmen, dem Geist. Am Ende stünde schlimmstenfalls eine versehrte Menschheit, die erneut Anlass hätte, darüber nachzudenken, warum sie so gefährdet ist. Sie könnte zu der Einsicht gelangen, dass andere Muster sozialer Reproduktion, jenseits des Marktes, eine andere Form der Resilienz gegen solche Gefährdungen ermöglichte. Dann hätte uns das Virus eine Moral von der Geschichte vermittelt, gegen die die Dritte Internationale nur erbärmlich aussah.

 

Make shit unhappen

 

Um auf Günther Anders zurückzukommen, liegt es vielleicht nahe, dem Teufelskreislauf der Selbstgefährdung der Menschen durch die Stärkung der menschlichen Vorstellungskraft zu entkommen, ausnahmsweise nun mal nicht nach der Maxime „shit happens“, sondern in dem gedanklichen Versuch, etwas ungeschehen zu machen. Make shit unhappen, sozusagen. Es wäre zu kurz gegriffen, in diesem Satz nur die pandemische Botschaft zu wittern, die Reproduktionszahl des Virus so tief wie möglich zu drücken. Die Krisenkommunikation früherer Pandemien krankte daran, dass man unterschätzte, wie denn das präventive Wissen verhaltenswirksam würde.

Wie können wir diesen Sachverhalt angemessen kommunizieren? Nicht mit Apps, auch nicht mit Polizei oder gut digitalisierten Gesundheitsämtern. Sie könnten wunderbar arbeiten, zum Selbstzweck werden, aber an der conditio humana, an der Selbstgefährdung des Menschen nur oberflächlich wirksam werden. Günther Anders fand den Vorstellungssinn unterentwickelt, die Menschen seien mit dem Vorstellen überfordert, sie stellten nur nach. Das „Querdenken“ steht dafür beispielhaft, indem es mit der Selbstbezeichnung das Denken in Gestalt einer Einbahnstraße undurchfahrbar macht. Der aufrechte Gang, so viel Bloch muss sein, zeichnet sich dadurch aus, dass er dem Denken zubilligt, dass es, um weiter zu kommen, jederzeit die Richtung wechseln kann: um mehr Anlauf zu nehmen, um den Abstand zum Ziel ins Auge zu fassen, um zu verstehen, was auf dem Spiel steht, wenn es gelänge, die Selbstgefährdung des Menschen zu verstehen und mit geeigneten Mitteln, vorübergehend, aufzuhalten.

Der Pessimismus der „Antiquiertheit des Menschen“ verträgt es nicht, homöopathisch auf Optimismus umgestellt zu werden. Indem wir uns die Grenzen unseres Denkens bewusst machen, können wir jene Resilienz pflegen, die uns gegen die Neigung wappnet, unseren Verstand nur gegen uns selbst zu richten. Dem Virus zu schaden, hieße dann also, es nicht nur immunologisch auszutrocknen, sondern die Gefährdung zu verstehen, die der Mensch selbst den Menschen ist. •

 

Hans Hütt ist Autor und Publizist. Zuletzt erschien von ihm „Wilde Jahre, kühne Träume – Wortverbindungen im Spiegel der Zeit“ (Duden 2020) sowie die mehrbändige Reihe „Ein Jahrzehnt in Wörtern“ (Duden 2019).

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