Quellen der Inspiration
Kein philosophisches System kommt aus dem Nichts, auch Hegel greift die Ideen seiner Vorgänger auf. Doch worauf reagiert er konkret? Welche Ansätze sind für sein Werk wichtig?
Rousseau und der Staat
Das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft wird oftmals als Verhältnis gegenseitiger Zugeständnisse und Kompromisse begriffen: Um von staatlich gewährleisteten Vorteilen wie zivilrechtlicher Sicherheit und Eigentumsschutz zu profitieren, muss der Einzelne einen Teil seiner natürlichen Freiheit aufgeben. Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) vertritt dagegen jene – zunächst paradox anmutende – Vorstellung einer Einheit von Individuum und Gesellschaft sowie Freiheit und Gesetz, auf der auch Hegels Staatsphilosophie basiert. Wahre Freiheit, so Rousseau, erlangt der Mensch nicht im Naturzustand, sondern erst, indem er sich einem selbst gewählten Gesetz unterstellt: „Denn der Antrieb des reinen Begehrens ist Sklaverei, und der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit.“ Auf dieser Grundlage entwickelt Rousseau ein Gesellschaftsmodell, in dessen Mittelpunkt die auf das Gemeinwohl ausgerichtete „volonté générale“ (der allgemeine Wille) steht. Die Individuen mit ihren jeweiligen Interessen überantworten sich entsprechend jener größeren Gemeinschaft, deren gemeinsamer Wille das allgemeine Wohl zum Ziel hat. Damit fungiert die Bevölkerung zugleich als staatlicher Souverän, der sich selbst verwaltet und organisiert, anstatt die politische Macht einer herrschenden Minderheit oder gar einem Einzelnen zu überlassen. Nur wenn der allgemeine Wille der Bevölkerung die kontrollierende Instanz in staatlichen Angelegenheiten ist, handelt es sich um eine legitime Ausübung von Macht.
Dieses radikaldemokratisch anmutende Verständnis verbirgt jedoch nicht, dass Rousseau einen „schlechthin ungebundenen Absolutismus des Staatswillens“ (Ernst Cassirer) vertritt, wofür er oft kritisiert wurde. Denn keineswegs ist die „volonté générale“ schlicht als Summe aller Einzelinteressen zu verstehen. Sie fungiert vielmehr als normative Bestimmung, durch die die zufälligen und individuellen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Mitglieder im Zaum gehalten werden sollen.
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