Mit Schweineherz zum Übermenschen
Der 57-jährige David Bennett hat ein genetisch verändertes Schweineherz erhalten. Was, wenn wir dereinst ersehnte Eigenschaften von Tieren annehmen könnten? Der Transhumanist Stefan Lorenz Sorgner über die Chance von Mensch-Tier-Hybriden.
Geschaffen wurde das Herz von einer Firma unter der Leitung der transgender Transhumanistin Martine Rothblatt. Die Operation war Bennetts letzte Hoffnung auf ein Weiterleben. Drei Tage nach der schweren siebenstündigen Operation geht es ihm den Umständen entsprechend gut, wie die BBC am 11.1.2022 berichtete. Ob sich bezüglich der Annahme des Schweineherzens durch den menschlichen Körper Komplikationen ergeben werden, ist selbstverständlich noch unklar.
Wenn sich dieser Eingriff auch langfristig als erfolgreich erweisen sollte, könnte diese Xenotransplantation eine paradigmenartige Verbesserung für die Situation der unzähligen totkranken Menschen darstellen, deren Leben durch die Übertragung von genetisch veränderten Zellen, Geweben oder Organen von Schweinen gerettet werden könnte.
Wir werden dabei zu Chimären, Mensch-Tier-Hybriden. Aber ist dieser Eingriff eigentlich wirklich so ein radikaler Entwicklungsschritt? Sind wir nicht immer schon Hybride gewesen? Bereits im Jahr 2016 haben Forscher aus Kanada und Israel überzeugend nachgewiesen, dass der menschliche Körper zahlreiche nicht-menschliche Zellen, also Bakterien und einzellige Mikroben, enthält. Sie sollen sogar die Mehrheit unserer Körperzellen ausmachen. Tatsächlich soll der menschliche Körper aus mehr nicht-menschlichen Zellen als aus menschlichen Zellen bestehen. Laut Ron Milo und Ron Sender vom Weizmann-Institut in Rehovot, Israel, und ihrem Kollegen Shai Fuchs vom Hospital for Sick Children in Toronto kommen auf 30 Billionen menschliche Zellen, also Zellen mit unserer eigenen DNA, 39 Billionen nicht-menschliche Zellen. Ohne diese nicht-menschlichen Zellen könnten Menschen nicht überleben. Wir sind also Hybride, Kreuzungen, und wir sind immer schon Hybride gewesen.
Der Axolotl in uns
Diese Transplantation eines genetisch modifizierten Schweineherzens ist eine herausragende Botschaft der Hoffnung für die zahlreichen Menschen, die ein Organ benötigen. Sie ist sicherlich nicht die letzte Innovation im Bereich der Mensch-Tier-Hybride. In Japan wurde im Jahr 2019 rechtlich beschlossen, dass solche Hybride auch geboren werden dürfen. Hiermit ergeben sich unzählige Möglichkeiten, mittels Genome Editing und Hybridisierung die Lebensqualität auf signifikante Weise zu verbessern, da nicht-menschliche Tiere zahlreiche Eigenschaften besitzen, die auch Menschen gerne hätten.
Der mexikanische Schwanzlurch, Axolotl, besitzt die Fähigkeit, verlorene Gliedmaßen, Organe und Teile des Herzens und Gehirns funktionstüchtig nachwachsen zu lassen. Die nördliche Venusmuschel kann über 400 Jahre alt werden. Aber auch größere Säugetiere, wie der Grönlandwal, können älter als 200 Jahre alt werden. Sobald wir die Gene, die für diese Eigenschaften und Fähigkeiten verantwortlich sind, mittels Genome Editing in das menschliche Genom integrieren können, wird die Nachfrage nach diesen biotechnischen Innovationen enorm sein, da viele Menschen die erwähnten Eigenschaften mit einer enormen Steigerung ihrer Lebensqualität identifizieren. Unser biotechnologisches Zeitalter hat gerade erst begonnen. Ich kann es kaum erwarten, dass unsere Zukunft als Posthumane zur Wirklichkeit wird. •
Stefan Lorenz Sorgner ist Leiter des Fachbereichs Geschichte und Geisteswissenschaften und Philosophieprofessor an der John Cabot University in Rom sowie Direktor und Mitbegründer des Beyond Humanism Network. Sein Buch „We have always been cyborgs“ ist soeben bei Bristol University Press erschienen.
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Judith Butler und die Gender-Frage
Nichts scheint natürlicher als die Aufteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Es gibt Männer und es gibt Frauen, wie sich, so die gängige Auffassung, an biologischen Merkmalen, aber auch an geschlechtsspezifischen Eigenschaften unschwer erkennen lässt. Diese vermeintliche Gewissheit wird durch Judith Butlers poststrukturalistische Geschlechtertheorie fundamental erschüttert. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist für Butler ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpf lanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären, sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“, so die amerikanische Philosophin in ihrem grundlegenden Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“, das in den USA vor 25 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Seine visionäre Kraft scheint sich gerade heute zu bewahrheiten. So hat der Bundesrat kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der eine vollständige rechtliche Gleichstellung verheirateter homosexueller Paare vorsieht. Eine Entscheidung des Bundestags wird mit Spannung erwartet. Welche Rolle also wird die Biologie zukünftig noch spielen? Oder hat, wer so fragt, die Pointe Butlers schon missverstanden?
Camille Froidevaux-Metteries Essay hilft, Judith Butlers schwer zugängliches Werk zu verstehen. In ihm schlägt Butler nichts Geringeres vor als eine neue Weise, das Subjekt zu denken. Im Vorwort zum Beiheft beleuchtet Jeanne Burgart Goutal die Missverständnisse, die Butlers berühmte Abhandlung „Das Unbehagen der Geschlechter“ hervorgerufen hat.
Wer sind "Wir"?
Als Angela Merkel den Satz „Wir schaffen das!“ aussprach, tat sie dies, um die Deutschen zu einer anpackenden Willkommenskultur zu motivieren. Aber mit der Ankunft von einer Million Menschen aus einem anderen Kulturkreis stellt sich auch eine für Deutschland besonders heikle Frage: Wer sind wir eigentlich? Und vor allem: Wer wollen wir sein? Hört man genau hin, zeigt sich das kleine Wörtchen „wir“ als eine Art Monade, in der sich zentrale Motive zukünftigen Handelns spiegeln. Wir, die geistigen Kinder Kants, Goethes und Humboldts. Wir, die historisch tragisch verspätete Nation. Wir, das Tätervolk des Nationalsozialismus. Wir, die Wiedervereinigten einer friedlichen Revolution. Wir, die europäische Nation? Wo liegt der Kern künftiger Selbstbeschreibung und damit auch der Kern eines Integrationsideals? Taugt der Fundus deutscher Geschichte für eine robuste, reibungsfähige Leitkultur? Oder legt er nicht viel eher einen multikulturellen Ansatz nahe? Offene Fragen, die wir alle gemeinsam zu beantworten haben. Nur das eigentliche Ziel der Anstrengung lässt sich bereits klar benennen. Worin anders könnte es liegen, als dass mit diesem „wir“ dereinst auch ganz selbstverständlich „die anderen“ mitgemeint wären, und dieses kleine Wort also selbst im Munde führen wollten. Mit Impulsen von Gunter Gebauer, Tilman Borsche, Heinz Wismann, Barbara Vinken, Hans Ulrich Gumbrecht, Heinz Bude, Michael Hampe, Julian Nida-Rümelin, Paolo Flores d’Arcais.
Jan Slaby: „In-der-Welt-Sein ist deutlich mehr als Curlingsteine durch die Gegend schieben“
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