Vom Schatten ins Licht
Die Ausstellung O Quilombismo im Haus der Kulturen der Welt setzt auf die Sichtbarmachung des Verdrängten und Vergessenen.
Mit der Ausstellung O Quilombismo öffnet das Haus der Kulturen der Welt nach langer Renovierung wieder seine Türen und setzt damit den künstlerischen Auftakt der neuen Intendanz von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und seinem Team. Das Wort „Quilombo“ kommt aus den Buntu-Sprachen, etablierte sich im Brasilien des 17. Jahrhunderts und bezeichnet Gemeinschaften, die entflohene Sklaven („Maroons“) gebildet haben. Quilombo – so der brasilianische Künstler, Theoretiker und Aktivist Abdias Nascimento – „bedeutet brüderliche und freie Wiedervereinigung oder Begegnung; Solidarität, Zusammenleben, existenzielle Gemeinschaft.“ Es ist ein Konzept der Befreiung von kolonialen Herrschaftsstrukturen und zugleich eines Neuanfangs jenseits von Unterdrückung. Die Geschichte des Quilombismus erzählt einen Prozess der Revolte, der geleitet ist von einem Streben nach Gerechtigkeit und sich sowohl auf die kolonialen Subjekte als auch auf ihre Lebensräume und Kulturen bezieht. Sie kann, wie Bonaventure erläutert, „als die lange Geschichte der anhaltenden Kämpfe beschrieben werden, die einen Spalt aufreißt, durch den die in der Vergangenheit Entmenschlichten Luft zum Atmen bekommen.“
Quilombo lässt sich als vielschichtiges Leitmotiv für das Programm der kommenden Jahre im Haus der Kulturen der Welt verstehen. Es wird künftig darum gehen, marginalisierten Gruppen einen Raum in der Öffentlichkeit zu geben, damit sie aus dem Schatten der Geschichte heraustreten können, in den die westliche Kultur sie gedrängt hat. Auf der einen Seite wird dem westlich sozialisierten Publikum damit der Spiegel seiner eigenen unterdrückenden Kulturgeschichte vorgehalten. Auf der anderen Seite werden ihm aber auch Weltzugänge eröffnet, die nicht von einem individuellen Herrschaftsdenken getrieben sind. Dadurch soll letztlich ein interkulturelles Verständnis entwickelt und der Boden für eine gerechtere Weltgemeinschaft bereitet werden.
Wie man sich das vorstellen kann, zeigt die erste Ausstellung. Sie führt den Besucher an auf der ganzen Welt verteilte Orte des Widerstands marginalisierter Gruppen. So sind etwa an Fruchtbarkeitspuppen aus Namibia angelehnte Figuren zu sehen, kunstvoll gestickte Teppiche einer indischen Siddi-Community, zoomorphe, an die Tradition der indigenen Shipibo-Connibo angelehnte Tierfiguren aus Peru oder perlenbestickte Flicken, die auf die 200 Jahre alte Black-Masking-Tradition aus New Orleans referieren. Beeindruckend ist, wie die Ausstellung mit Skulpturen im Garten, Bildern und Gewändern im Flur sowie einem eindrucksvollen Fresko im Foyer das gesamte Gebäude bespielt. In Kombination mit den Texten des Katalogs lässt dies den Besuch zu einer inspirierenden und sehr lehrreichen tour du monde werden. •
Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, 02.06. – 17.09.2023