Was tun?
Der Herbst des letzten Jahres ist bereits jetzt als einer der großen Wendepunkte unserer Nachkriegsgeschichte erkennbar. So wie einst der Herbst des Jahres 1989. Der Fall der Mauer bedeutete einen enormen Mobilitätsschub. Im Zeichen der Freiheit ordnete er die Landkarte Deutschlands, Europas, ja faktisch der ganzen Welt politisch neu. Wie nun wäre das zweite große Herbstereignis, also der faktische Kollaps der EU-Außengrenzen und die damit verbundene Entscheidung zur Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlinge allein in Deutschland einzuordnen? Wieder fallen Grenzen. Wieder stimmen ganze Völker mit den Füßen ab und marschieren – als Opfer von Bürgerkriegen und einem mittlerweile Staat gewordenen islamistischen Terrorregime – aus den kriegsversehrten Gebieten der arabischen Welt nach Kerneuropa: unterwegs in ein besseres Leben – oder auch nur Überleben.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Wer sind "Wir"?
Als Angela Merkel den Satz „Wir schaffen das!“ aussprach, tat sie dies, um die Deutschen zu einer anpackenden Willkommenskultur zu motivieren. Aber mit der Ankunft von einer Million Menschen aus einem anderen Kulturkreis stellt sich auch eine für Deutschland besonders heikle Frage: Wer sind wir eigentlich? Und vor allem: Wer wollen wir sein? Hört man genau hin, zeigt sich das kleine Wörtchen „wir“ als eine Art Monade, in der sich zentrale Motive zukünftigen Handelns spiegeln. Wir, die geistigen Kinder Kants, Goethes und Humboldts. Wir, die historisch tragisch verspätete Nation. Wir, das Tätervolk des Nationalsozialismus. Wir, die Wiedervereinigten einer friedlichen Revolution. Wir, die europäische Nation? Wo liegt der Kern künftiger Selbstbeschreibung und damit auch der Kern eines Integrationsideals? Taugt der Fundus deutscher Geschichte für eine robuste, reibungsfähige Leitkultur? Oder legt er nicht viel eher einen multikulturellen Ansatz nahe? Offene Fragen, die wir alle gemeinsam zu beantworten haben. Nur das eigentliche Ziel der Anstrengung lässt sich bereits klar benennen. Worin anders könnte es liegen, als dass mit diesem „wir“ dereinst auch ganz selbstverständlich „die anderen“ mitgemeint wären, und dieses kleine Wort also selbst im Munde führen wollten. Mit Impulsen von Gunter Gebauer, Tilman Borsche, Heinz Wismann, Barbara Vinken, Hans Ulrich Gumbrecht, Heinz Bude, Michael Hampe, Julian Nida-Rümelin, Paolo Flores d’Arcais.
Kann uns die Liebe retten?
Der Markt der Gefühle hat Konjunktur. Allen voran das Geschäft des Onlinedatings, welches hierzulande mit 8,4 Millionen aktiven Nutzern jährlich über 200 Millionen Euro umsetzt. Doch nicht nur dort. Schaltet man etwa das Radio ein, ist es kein Zufall, direkt auf einen Lovesong zu stoßen. Von den 2016 in Deutschland zehn meistverkauften Hits handeln sechs von der Liebe. Ähnlich verhält es sich in den sozialen Netzwerken. Obwohl diese mittlerweile als Echokammern des Hasses gelten, strotzt beispielsweise Facebook nur so von „Visual-Statement“-Seiten, deren meist liebeskitschige Spruchbildchen Hunderttausende Male geteilt werden. Allein die Seite „Liebes Sprüche“, von der es zig Ableger gibt, hat dort über 200 000 Follower. Und wem das noch nicht reicht, der kann sich eine Liebesbotschaft auch ins Zimmer stellen. „All you need is love“, den Titel des berühmten Beatles-Songs, gibt es beispielsweise auch als Poster, Wandtattoo, Küchenschild oder Kaffeetasse zu kaufen.
Bin ich, was ich esse?
Mensch sein heißt, vom Baum der Erkenntnis gekostet zu haben. Mehr denn je steht die Essenswahl heute unter gesellschaftlichem Druck. Selbst gewählte Nahrungstabus bilden das Zentrum unserer Identität, ersetzen zunehmend religiöse und auch politische Bekenntnisse. Die damit verbundenen Haltungen pendeln zwischen lebensfroher Heilserwartung und genussferner Hypersensibilität, revolutionärer Energie und Angst vor staatlicher Überregulierung. Ist gutes Essen wirklich immer gesund? Gibt es überhaupt natürlichen Genuss? Und wenn ja, weist er wirklich den Weg zu globalen Lösungen? Oft, schrieb einst Friedrich Nietzsche, entscheidet ein „einziger Bissen Nahrung, ob wir mit einem hohlen Auge oder hoffnungsreich in die Zukunft schauen“. Hatte er recht?
Zusammenbruch der Zeichen
Die Kryptowährung Dogecoin begann als Parodie auf den Marktführer Bitcoin. Nicht zuletzt dank Elon Musk entwickelte sich die Satire zum ernstzunehmenden Konkurrenten. Aus der Perspektive des Philosophen Jean Baudrillard birgt das auch eine Gefahr: Es droht ein Kollaps der Zeichen.

Flüchtlingskrise: Solidarität ohne Grenzen?
Der Bürgerkrieg in Syrien eskaliert immer stärker, die Lage in Afghanistan droht außer Kontrolle zu geraten und täglich machen sich Tausende Flüchtlinge auf den Weg in den Westen, vor allem nach Deutschland. Noch nie stand die Europäische Union vor einer derartigen Herausforderung. Ein Dialog über das Erbe der Aufklärung, europäische Identität und Verantwortung im Ausnahmezustand.
Milliarden für Ideen
Es muss kein Fußballverein oder Düsenjet sein. Immer mehr sogenannte Superreiche geben einen Großteil ihres Vermögens für philanthropische Projekte aus. Auch die Philosophie ist davon mittlerweile betroffen. 500 Millionen Dollar plant allein der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen für die Ausarbeitung neuer Leitideen bereitzustellen. Lassen sich große Gedanken erkaufen? Und falls ja, mit welchen Zielen?
Es kam so überraschend wie verheerend.
Das Coronavirus, das die Welt Anfang 2020 erfasste und in vielen Bereichen noch immer unseren Alltag bestimmt, erzeugte vor allem eines: ein globales Gefühl der Ungewissheit. Wurde das soziale Leben in kürzester Zeit still gestellt, Geschäfte, Kinos und Bars geschlossen und demokratische Grundrechte eingeschränkt, blieb zunächst unklar, wie lange dieser pandemische Ausnahmezustand andauern würde. Und selbst jetzt, da sich das Leben wieder einigermaßen normalisiert zu haben scheint, ist die Unsicherheit nach wie vor groß: Wird es womöglich doch noch eine zweite Infektionswelle geben? Wie stark werden die wirtschaftlichen Auswirkungen des Shutdowns sein? Entwickeln sich Gesellschaften nun solidarisch weiter oder vollziehen sie vielmehr autoritären Rollback? Ganz zu schweigen von den individuellen Ungewissheiten: Kann ich im Sommer in den Urlaub fahren? Werde ich im Herbst noch Arbeit haben? Hält die Beziehung der Belastung stand? Kurzum: Selten war unsere so planungsbedürftige Zivilisation mit so viel Ungewissheit konfrontiert wie derzeit.

Wie schaffen wir das?
Eine Million Flüchtlinge warten derzeit in erzwungener Passivität auf ihre Verfahren, auf ein Weiter, auf eine Zukunft. Die Tristheit und Unübersichtlichkeit dieser Situation lässt uns in defensiver Manier von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Der Begriff der Krise, aus dem Griechischen stammend, bezeichnet den Höhepunkt einer gefährlichen Lage mit offenem Ausgang – und so steckt in ihm auch die Möglichkeit zur positiven Wendung. Sind die größtenteils jungen Menschen, die hier ein neues Leben beginnen, nicht in der Tat auch ein Glücksfall für unsere hilf los überalterte Gesellschaft? Anstatt weiter angstvoll zu fragen, ob wir es schaffen, könnte es in einer zukunftszugewandten Debatte vielmehr darum gehen, wie wir es schaffen. Was ist der Schlüssel für gelungene Integration: die Sprache, die Arbeit, ein neues Zuhause? Wie können wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, einbinden in die Gestaltung unseres Zusammenlebens? In welcher Weise werden wir uns gegenseitig ändern, formen, inspirieren? Was müssen wir, was die Aufgenommenen leisten? Wie lässt sich Neid auf jene verhindern, die unsere Hilfe derzeit noch brauchen? Und wo liegen die Grenzen der Toleranz? Mit Impulsen von Rupert Neudeck, Rainer Forst, Souleymane Bachir Diagne, Susan Neiman, Robert Pfaller, Lamya Kaddor, Harald Welzer, Claus Leggewie und Fritz Breithaupt.