Wie schnell wachsen?
In China dürfen Paare künftig drei Kinder bekommen. Damit ändert das Land vollends seine einst so strikte Geburtenpolitik – und erinnert damit an eine Debatte zwischen den Philosophen Jean Bodin und Thomas Malthus.
Noch nie bekamen die Chinesen so wenig Kinder wie im Jahr 2021: nur 12 Millionen. Dieser historisch tiefe Wert setzt einen allgemeinen Trend fort. Das demografische Wachstum des Landes war in der letzten Dekade besonders niedrig – es betrug durchschnittlich 0,53 % pro Jahr – und kommt damit einer Schrumpfung gleich. Geht diese Entwicklung weiter, könnte die chinesische Bevölkerung im Jahr 2100 auf 732 Millionen gesunken sein. Im Vergleich zu den heutigen 1,4 Milliarden Einwohnern des Landes wäre das die Hälfte.
Wie lässt sich dieser demografische Wandel in China erklären? Die 1979 eingeführte Ein-Kind-Politik ist zweifellos ein wichtiger Faktor, reicht aber als Grund nicht aus. Schon deshalb, weil sie 2015 bereits teilweise abgeschafft wurde, ohne dass dies erkennbare Auswirkungen auf die Geburtenrate gehabt hätte. Vielmehr haben sich im Reich der Mitte die Lebensgewohnheiten verändert. Auch ohne staatlichen Zwang wollen viele Paare heute nur ein Kind. Das hat nicht zuletzt mit der Entstehung einer größeren Mittelschicht zu tun. Denn gerade in ärmeren Familien mit wenig ökonomischem Kapital war das Interesse an der Geburtenbegrenzung vergleichsweise gering.
Schutz vor der Revolution
Zum einen, weil Kinder – insbesondere in bäuerlichen Kreisen – gleichzeitig oft auch Arbeitskräfte im eigenen Familienbetrieb waren und durch Generationensolidarität für die ökonomische Absicherung im Alter sorgten. Zum anderen, weil ärmere Familien kein Kapital hatten, das sie auf die Kinder hätten aufteilen oder verwenden müssen. Anders bei den neuen Mittelschichten, die ihr erworbenes Kapital – etwa für die Ausbildung – lieber auf ein Kind konzentrieren. Weitere Faktoren, die die niedrigen Geburtenraten erklären, liegen in der Verringerung von Kindersterblichkeit, der Verbreitung von Verhütungsmitteln sowie der Zunahme staatlicher Absicherungen im Alter.
Diese Entwicklung wird von der Kommunistischen Partei nun zunehmend als Bedrohung gesehen, die langfristig zu einem Mangel an Arbeitskräften und einer Unwucht bei der Altersabsicherung führt. Deshalb wurde jüngst ein klarer Bruch mit der einstigen Ein-Kind-Politik verkündet. Chinesische Paare dürfen nun drei Kinder bekommen. Bei der Begründung scheint sich die KP dabei auf den Spuren des französischen Philosophen Jean Bodin zu befinden, der in Sechs Bücher über den Staat (1576) bemerkte, dass ein Staat für sein Gedeihen nie genug Untertanen haben könne. Ein Wachstum der Bevölkerung gereiche dem Souverän stets zum Vorteil, nicht nur weil damit Macht und Wohlstand stiegen, sondern auch, weil eine größere Bevölkerung sozial ausgeglichener sei – und deshalb vor Unruhen und Revolutionen schütze.
Ein neues Echo
Der Bruch durch die nun verkündete Drei-Kind-Politik wirkt deshalb so stark, da Peking lange dem gegenteiligen Credo folgte, wonach eher der Geburtenüberschuss als Bedrohung gesehen wurde. In den 1970er Jahren, als chinesische Frauen im Schnitt rund sechs Kinder bekamen, initiierte China die malthusianisch inspirierte Ein-Kind-Politik. Der britische Philosoph und Demograf Thomas Malthus hatte in seinem Essay on the Principle of Population (1798) behauptet, dass einem hohen Bevölkerungswachstum nur ein geringer Zuwachs bei der Nahrungsmittelproduktion gegenüberstehe, weshalb es zwangsläufig zu Hungerkatastrophen komme.
Malthus lag mit seiner Prognose falsch, weil er davon ausging, dass die Dynamik der Produktion lediglich linear steige, während die Bevölkerung exponentiell wachse. In dieser Sichtweise wurde jedoch ein entscheidender Faktor vernachlässigt: der technologische Fortschritt, durch den die Produktivität stetig verbessert wird. Malthus hatte lediglich die – tatsächlich begrenzte – Menge des Bodens im Blick, bedachte aber nicht, dass sich die Erträge von dessen Ausbeutung enorm erhöhen würden. Während Malthus sich also vor allem auf den Boden fixierte, hatte Bodin bereits gesehen, dass die Menschen die entscheidenden Produktionsfaktoren sind, die durch Innovation und Technik ihre Situation verändern können.
Hat sich die chinesische Bevölkerungspolitik also gewissermaßen von Malthus zu Bodin bewegt, steht ihr indes direkt eine neue Herausforderung bevor. Haben insbesondere die letzten Dekaden bewiesen, dass der technische Fortschritt der Schlüssel zu einem scheinbar unbegrenzten Wirtschaftswachstum ist, zwingt der Klimawandel uns nun dazu, diesen Wachstumskult zu überdenken. Denn so fraglos falsch der Malthusianismus – faktisch und ethisch – auch ist, findet er dieser Tage insofern ein neues Echo, als dass eine wachsende Weltbevölkerung auch einen höheren Ressourcenverbrauch impliziert – und somit fraglos nicht der einzige, aber dennoch ein Faktor für die ökologische Erschöpfung der Erde darstellen kann. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Umstand in naher Zukunft einen Einfluss auf die chinesische Politik haben wird. •