Wolfram Eilenberger: „Die Super League wäre die schlechteste aller möglichen Sportwelten“
Zwölf Top-Clubs schlossen sich jüngst zu einer exklusiven Super League zusammen und lösten ein Erdbeben im europäischen Fußball aus. Wolfram Eilenberger erläutert, warum die kapitalistische Logik keinen Wettbewerb schätzt und die Vereine zunehmend ortlos werden.
Herr Eilenberger, zwölf europäische Top-Clubs aus England, Spanien und Italien, darunter FC Liverpool, AC Mailand oder Real Madrid, haben sich am Montag zu einer Super League zusammengeschlossen. Dieser neue Wettbewerb, der in Konkurrenz zur UEFA Champions League stehen soll, wird dabei u.a. von der US-Bank JP Morgan finanziert, sodass an die Teams mindestens 3,5 Milliarden Euro ausgeschüttet werden. Das Vorhaben wurde von vielen Spielern, Funktionären und Politikern harsch kritisiert. Lukas Podolski nannte es etwa „ekelhaft“ und „unfair“, Großbritanniens Premier Boris Johnson hält es für „sehr schädlich“. Zu Recht?
Zunächst zeigt sich hier, dass der Fußball eben kein Spiegel der Gesellschaft, sondern vielmehr eine Art Laboratorium der Zukunft ist. Vor dem Hintergrund der Coronakrise, die ja oft mit der Hoffnung verbunden wurde, man würde nun zur Besinnung kommen und den beschleunigten Kapitalismus zähmen, offenbart die Initiative der Super League exemplarisch, dass eher das Gegenteil der Fall sein wird: Ungleichgewichte radikalisieren und beschleunigen sich noch weiter. Denn der Fußball hatte ja, wie Bayern-München-Präsident Herbert Hainer das unlängst formulierte, eigentlich das „perfekte Geschäftsmodell“. Das ist aber durch die coronabedingte Abwesenheit der Fans in den Stadien ins Wanken geraten. Nun sehen wir, dass manche Clubs versuchen, mit aggressiven Methoden aus dieser Krise zu kommen. Und natürlich kann man das nur mit großer Erschütterung betrachten. Was sich hier letztlich bestätigt, ist ja die – sowohl von links als auch rechts hervorgebrachte – Beobachtung, dass Konkurrenz dem Kapitalismus gar nicht nützt, sodass Wettbewerb in der kapitalistischen Logik gar nicht hochgeschätzt wird. Dementsprechend wird mit der Super League im Grunde ein Wettbewerb ohne Wettbewerb geschaffen.
Die teilnehmenden Clubs müssen sich überhaupt nicht mehr qualifizieren und können auch nicht absteigen.
Sämtliche Konkurrenz- und Offenheitsmomente, die eigentlich zentral für die Sport- und Marktlogik sind, werden außer Kraft gesetzt, um Marge und Gewinn zu erhöhen. Sie wollen einen Wettbewerb ohne Konkurrenz, Wettkampf ohne Offenheit. Letztlich setzt sich hier im Fußball ein schon länger währender Prozess zur Immunisierung gegen die Offenheit der Welt durch. Mit überdachten Stadien und Kunstrasen hat man sich mancherorts bereits gegen das Wetter immunisiert, mit dem Videobeweis dem Ansinnen nach gegen mögliche Fehlentscheidungen durch die Schiedsrichter. Und nun immunisieren sich diese zwölf Vereine gegen das Leistungsprinzip.
Harte Kritik kam auch vom UEFA-Chef Aleksander Čeferin. Er nannte die zwölf Klubs ein „dreckiges Dutzend“, das durch seine „Gierigkeit“ alle „menschlichen Werte über Bord geworfen“ habe. Bei der Super League „gehe es nur ums Geld“, bei der UEFA hingegen um die „Entwicklung des Fußballs“. Dabei hatte Čeferin kurz darauf jedoch selbst eine lang geplante Reform der Champions League verkündet, die ebenfalls die Top-Clubs noch weiter privilegiert, etwa indem zwei Startplätze für große Teams reserviert werden, auch wenn diese sich gar nicht sportlich qualifiziert haben. Bildet die Super League letztlich also gar keinen wirklich qualitativen Unterschied zum bestehenden System?
In der Champions League spielen schon länger die immer gleichen Vereine um den Titel. Und auch bei den nun beschlossenen Reformen geht es darum, Unverfügbarkeits- und Risikomomente für die großen Clubs zu minimieren. Dennoch gibt es hier zumindest noch eine Restintuition von Wettbewerbsgleichheit und Leistungsprinzip. Bei diesen zwei Startplätzen für sportlich nicht-qualifizierte Vereine kommt ja eine 5-Jahres-Wertung zum Tragen, es geht dann also um Clubs, die sich zuvor über mehrere Jahre konstant qualifiziert hatten und nun eine Wildcard kriegen. Bei der Super League handelt es sich hingegen um eine Allianz von traditionswürdigen, aber teilweise sportlich gar nicht allzu erfolgreichen Vereinen, die aufgrund ihrer internationalen Strahlkraft ein Geschäftsmodell etablieren, dass eine Gated Community des Fußballs bilden soll. Daran zeigt sich exemplarisch ein übergeordneter Effekt unserer Zeit: Gewisse Teile der Gesellschaft sondern sich vom Großteil dieser ab, bilden also eine Art geschlossene Gesellschaft, um die Maximierung ihres Gewinn voranzutreiben. Und traurigerweise immunisieren sie sich damit gegen all das, was das Spiel als Spiel ausmacht: Offenheit, Unverfügbarkeit und Umstrittenheit. Dass die Reaktion vieler Fans darauf so aggressiv ausfällt, macht indes deutlich: Hier geht es um mehr als eine neue Organisationsform, es geht vielmehr um die Schaffung einer neuen sportlichen Daseinsform, die eine Verwesung des Spiels als Spiel bedeuten würde, weil sie mit dem, was Fußball eigentlich ist, nichts mehr zu tun hat und auch nicht haben will.
Schon seit langem wird von einer Mehrheit der Fans beklagt, dass der Fußball zu sehr vom Geld regiert wird. Trotzdem geht die Kommerzialisierung immer weiter. Warum eigentlich?
Weil die psychologische Erwartungshaltung der Fans, gerade der Stadionfans, extrem unwuchtig ist. Einerseits will man die großen Stars sehen und Stolz auf die Erfolge seines Vereins sein, andererseits möchte man aber auch eine erdnahe Verankerung und keinen kommerziellen Ausverkauf. In dieser Spannung ist es schwierig, sich abschließend zu positionieren. Zumal Fußball eigentlich auch eine Identität ist, kein Produkt. Fan zu sein, ist nicht einfach ein Hobby, sondern eine eigene Daseinsform. Ist man mit seinem Verein deshalb immer auch in einer Art emotionaler Abhängigkeit verbunden, kann man sich nicht von dem einen auf den anderen Tag entscheiden, dieses „Produkt“ nicht mehr zu kaufen – denn es ist für einen selbst ja eben gar kein Produkt, sondern ein Teil der Identität, der für viele weit wichtiger ist als die Familie, Region oder Nation.
Umso bemerkenswerter, dass bei der Super League auch eine Reihe klassischer „Traditionsvereine“ dabei ist, etwa der FC Liverpool oder der FC Barcelona.
Es sind vor allem Traditionsvereine, die auf zwei unterschiedlichen Geschäftsmodellen beruhen. Die einen sind durch Mäzene übernommen worden, meist aus Regionen, in den Fußball bis dato keine große kulturelle Verankerung hat, also aus dem Nahen Osten, Asien oder den USA. Die anderen sind nach wie vor sehr stark in ihren Regionen verankert und verstehen sich mitunter auch stark politisch, etwa der FC Barcelona. Und das diabolische ist: In beiden Fällen werden gerade diese Traditionsverhältnisse benutzt, um den Fußball von seinen Wurzeln zu kappen. Denn Vereine wie Manchester United oder Tottenham Hotspur haben sich in den letzten Jahren nicht besonders durch Leistung ausgezeichnet. Das einzige, was sie für die Aufnahme in die Super League qualifiziert, ist ihre Tradition.
Deutsche und französische Vereine sind in der Super League bis dato nicht vertreten. Sind die, wenn man so will, ethisch besser aufgestellt oder woran liegt das?
Die genauen Gründe dafür zu ermitteln, ist sicher schwierig. Denn Bayern München oder Borussia Dortmund haben hier vermutlich andere Motivationen als Paris Saint Germain. Was sich aber vielleicht dennoch sagen lässt: Bei aller Kritik, die man auch gegen die Leitungsebenen von Dortmund oder Bayern vorbringen kann, scheint es dort immerhin noch ein Bewusstsein dafür zu geben, dass nicht alle Dinge, die in der Fußballkultur getan werden könnten, auch getan werden sollten. Nicht zuletzt durch die 50+1-Regel ist der Wille zur Einwurzelung des Fußballs in Deutschland also womöglich etwas höher als anderswo.
Die UEFA hat beim Versuch, die Super League doch noch zu verhindern, indes schon schwere Geschütze aufgefahren. So wird etwa gedroht, dass Spieler der besagten zwölf Clubs dann auch nicht mehr für ihre Nationalmannschaften auflaufen dürften. Wer wird sich am Ende durchsetzen?
Die aggressive Reaktion der UEFA zeigt in jedem Fall, wie viel auf dem Spiel steht. Vielleicht kann die Super-League-Initiative kurzfristig auch noch einmal abgewehrt werden. Langfristig ist indes offen, wer diesen Kampf gewinnt. Wobei insgesamt auch klar wird: So sehr man die UEFA oder auch FIFA kritisieren kann, solche mächtigen Einheitsverbände sind dennoch enorm wichtig für den Fußball, weil sich sonst nämlich eine Situation wie im Boxen einstellt, in der durch die Konkurrenz verschiedener Verbände, Regelwerke und Logiken der Sport völlig zerfasert, was letztlich auch für die Fans und das Spiel selbst schlecht ist.
Langfristig läuft es also auf eine weitere Kommerzialisierung heraus?
Der eigentliche Grund für die Super League besteht darin, neue Märkte zu erschließen, die mit der konkreten Verwurzelung im Stadion nichts zu tun haben. Märkte in Indien, China und den USA. Das letzte Corona-Jahr war dafür gewissermaßen ein Probelauf, denn auch wenn die Fans nicht mehr ins Stadion konnten, blieben die Einschaltquoten stabil. Vor diesem Hintergrund werden die Vereine zunehmend als Marken verstanden, die sich auch von ihrem konkreten Bezugsort lösen lassen. So etwas gibt es ja auch schon in Form des Franchise-Systems im US-Sport, wo Basketball- oder Football-Clubs bisweilen kurzerhand von einer Stadt in die andere umziehen können. Ebenso gibt es im US-Sportsystem keinen Auf- oder Abstieg. Doch bekommen Basketball, Football und Co. ein starkes Dynamisierungs- und Fairness-Element durch das Draft-System und den College-Unterbau. Die schlechtesten Mannschaften des Vorjahres können dadurch jeweils die besten Nachwuchsspieler verpflichten. Bei der Super League hätte man es jedoch mit einer völligen Immunisierung gegen den Leistungsgedanken zu tun und verfügte über eine zunehmende Ortlosigkeit der Vereine, jedoch ohne Regulierungsmechanismus wie das Draft-System. Die Super League wäre damit die schlechteste aller Sportwelten und eine zynische Endstufe des Fußballs.
Und die Fans haben in dieser ganzen Sache gar keine Handlungsmacht mehr?
Sie wären jetzt gefordert, auf die Einwurzelung der Vereine zu bestehen. Dieses neue Geschäftsmodell der Traditionsvereine wäre womöglich dann zu stoppen, wenn man ihnen die Grundlage dafür nähme. Die Fans müssten in einem kollektiven Bemühen deutlich machen, dass das nicht mehr ihre Vereine sind, sodass die Clubs Angst davor hätten, ihre Marke erleide dadurch einen so großen Schaden, dass sich das neue Geschäftsmodell am Ende nicht mehr rechnet. •
[Update: Nach den heftigen Protesten gegen die Pläne zur Super League zogen sich die sechs englischen Teilnehmer – Manchester United, Manchester City, Arsenal London, FC Liverpool, Tottenham Hotspur und FC Chelsea – am Abend des 20.04. aus ihr zurück. Damit steht das Projekt voraussichtlich vor dem Aus.]
Wolfram Eilenberger war bis 2017 Chefredakteur des Philosophie Magazin, besitzt einen Trainerschein und ist u.a. Mitglied in der Akademie des DFB. Nach seinem weltweiten Bestseller „Zeit der Zauberer – Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919–1929“ (Klett-Cotta, 2018) erschien im letzten Jahr ebenfalls bei Klett-Cotta von ihm „Feuer der Freiheit – Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)“.
Weitere Artikel
Das Rasen der Zeit
Ob Fußballstadien, Theater oder Spätis. Durch die Corona-Pandemie sind viele (halb-)öffentliche Räume geschlossen oder in ihrer Existenz bedroht. Grund genug, sie in einer Serie philosophisch zu würdigen. In Folge 2: Clubs, die verschwitzten Heterotopien.

Wolfram Eilenberger: „Philosophie kann direkt in die Existenz eingreifen“
Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Ayn Rand und Simone Weil: Das sind die Protagonstinnen in Wolfram Eilenbergers neuem Buch Feuer der Freiheit. Schon in Die Zeit der Zauberer, dem zum Weltbestseller avancierten Vorgänger, hatte Eilenberger Leben und Denken von vier Geistesgrößen zusammengeführt. Damals waren es Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger. Nun also vier Frauen, die ihr Denken in den finsteren 1930er und 40er Jahren entwickeln. Ein Gespräch mit dem Autor über ein Jahrzehnt, in dem die Welt in Scherben lag - und vier Philosophinnen, die die Freiheit verteidigten.

Linker Fußball, rechter Fußball
Die bevorstehende Fußball-WM in Katar erregt die Gemüter. Lediglich die Äußerungen der Spieler oder die Produktionsbedingungen des Turniers zu betrachten, führt allerdings nicht weiter, meint Moritz Rudolph und plädiert für eine politische Betrachtung des Spiels selbst.

Version einer anderen Welt
Ob Clubs, Cafés oder Theater. Durch die Pandemie sind viele (halb-)öffentliche Räume geschlossen oder in ihrer Existenz bedroht. Grund genug, sie in einer Serie philosophisch zu würdigen. In Folge 3: Stadien, Orte motivierender Gedankenübertragung.

Putin als Schöpfer einer europäischen Supermacht?
Im Angesicht der russischen Bedrohung fordert Bundeskanzler Scholz einen Ausbau der europäischen Sicherheitsarchitektur. Dies zeigt zweierlei: Die Europäische Union wächst an ihren Krisen und braucht für innere Freundschaft einen äußeren Feind.

Germany’s Next Topmodel – Vielfalt verkauft sich
Morgen findet das Finale der 17. Staffel von Germany’s Next Topmodel statt. Die Castingshow bemüht sich um einen Image-Wandel. Das Motto lautet: Diversity. Doch offenbart sich die behauptete Vielfalt als Verhärtung des Identitätsdenkens. Ein Impuls von Theresa Schouwink.

Zwölf Klassiker der Philosophie – in je einem Satz
Platons Der Staat, Kants Kritik der reinen Vernunft oder Hannah Arendts Vita activa – diese Bücher gehören zum Kanon der Philosophiegeschichte. Viele von ihnen sind indes nur schwer verständlich. Zum Einstieg fassen wir für Sie deshalb zwölf wichtige Werke in je einem Satz zusammen.

Die Lust am Überschuss
Ob Clubs, Cafés oder Stadien. Durch die Pandemie sind eine Vielzahl (halb-)öffentlicher Räume geschlossen oder in ihrer Existenz bedroht. Grund genug, sie in einer Serie philosophisch zu würdigen. In Folge 4: Theater, Orte eines Kollektivrituals.
