Dürfen wir Fleisch essen?
Ist der Fleischkonsum Bestandteil der natürlichen Ordnung, Ausdruck eines quasi-rassistischen Denkens oder gar der Beginn zwischenmenschlicher Grausamkeit? Darüber war man sich in der Philosophiegeschichte uneins.
Nein, denn Fleischverzehr führt zu Gewalt gegen Menschen
Pythagoras von Samos (um 570 v. Chr.)
„Wer mit dem Messer die Kehle eines Rindes durchtrennt“, soll der antike Gelehrte Pythagoras von Samos – dem römischen Dichter Ovid zufolge – einmal gesagt haben, „der ist vom Verbrechen nicht weit entfernt“. Denn Fleischgenuss, so schlussfolgerte er, mache den Menschen kriegerisch, aggressiv und mordlüstern. Heute gilt Pythagoras als einer der ersten Denker Europas, die sich gegen das Töten von Tieren ausgesprochen haben. Sein Einfluss reichte bis weit ins neunzehnte Jahrhundert. Das zeigt sich daran, dass vor der Einführung des Begriffs „Vegetarier“ Menschen mit fleischloser Ernährungsweise vielerorts als Pythagoräer bezeichnet wurden (zuletzt in den 1840er-Jahren in England). Seine Überzeugung gewann Pythagoras aus einem Motiv der antiken Seelenlehre, der zufolge man nach dem Ableben auch in einen Tierkörper eingehen könnte, sodass „alles, was der Mensch den Tieren antut“ auf den Menschen zurückkommen kann.
Ja, denn Tiere sind des Menschen Untertan
Thomas von Aquin (1225-1274)
Ganz anders sah es der katholische Kirchenlehrer Thomas von Aquin. Er vertrat eine menschenzentrierte Lehre, der zufolge Tiere als „unvernünftige Wesen“ nicht Gegenstand der Moral seien. In Summa theologiae verwies er auf die ausdrückliche Empfehlung der Bibel, Tiere zur Ernährung des Menschen zu töten. Gemäß der „sittlichen Weltordnung“ sei jedes Tier von Natur aus der Knechtschaft unterworfen, weil „allein das geistige Wesen frei ist“. Er glaubte an die göttliche Ordnung, die auf den Nutzen des Menschen hin ausgerichtet sei. Das Tötungsverbot galt für ihn deshalb weder für die Pflanzenwelt, die über keinerlei Empfinden verfügt, noch für Tiere, da diese, so Thomas in Recht und Gerechtigkeit, „mit uns nicht auf gleicher Ebene“ stehen.
Nur in Fällen, in denen das auf das Tierwohl Rücksicht genommen wird
Peter Singer (*1946)
Der Philosoph Peter Singer argumentiert in seinem Buch Animal Liberation für die Verpflichtung, die Interessen der Tiere moralisch zu berücksichtigen. Wer dies nicht tue, folgt einem willkürlichen Ausschlussverfahren, das dem Rassismus ähnele. In seiner Argumentation knüpft er an den klassischen Utilitarismus an, der „als einzig moralische relevante Eigenschaft die Schmerz- und Leidensfähigkeit“ anerkennt. Jedoch erweitert Singer die pathozentrische Position um den Präferenzutilitarismus. Demnach sollte das Ziel jeder Handlung nicht allein die Lustvermehrung und Unlustvermeidung sein. Die Richtigkeit einer Handlung wird vielmehr daran bemessen, ob sie „nach reiflicher Erwägung die Interessen der Betroffenen fördert“. So hätten Tiere nicht nur das Interesse, Schmerzen zu vermeiden, sondern ebenso, sich selbst zu erhalten und für das Wohlergehen ihrer Nachkommenschaft Sorge zu tragen. Die Existenz dieser elementaren Interessen erfordere die Rücksichtnahme auf das Wohlergehen der Tiere. Dennoch verbietet Singers Tierethik es nicht grundsätzlich, Fleisch zu konsumieren. In Fällen, in denen „Tiere ein gutes Leben hatten und die Tötung augenblicklich und leidfrei geschieht, ist es womöglich vertretbar, sie zu töten.“ •