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Bild: Horst Galuschka / IMAGO

Interview

Frans de Waal: „Der Mensch ist von Natur aus für Empathie und Kooperation begabt“

Frans de Waal, im Interview mit Alexandre Lacroix veröffentlicht am 01 Oktober 2012 8 min

Vergangene Woche ist Frans de Waal gestorben. Der niederländische Primatenforscher verfolgte die Spur unserer Vorstellungen von Empathie und Moral viele Millionen Jahren zurück. 2012 sprachen wir mit ihm über sanfte Bonobos, gerissene Schimpansen und den Mythos vom „Lack der Zivilisation“. 

 

Herr de Waal, als Primatologe waren Sie der Erste, der das Verhalten der Bonobos untersucht hat. Weshalb haben sich Ihre Kollegen überwiegend mit Schimpansen beschäftigt?

Bonobos haben einen grazilen und feinen Körperbau, wirken „intellektueller“ als die athletischen Schimpansen. Außerdem zeigen sie andere Verhaltensweisen. Schimpansen sind konfliktbereit und schmieden politische Allianzen – sie haben eine machiavellistische Seite. Bei den Bonobos beherrschen die Weibchen die Gruppe, weshalb es dort friedlicher zugeht. Gewalt wird oft abgewendet und kanalisiert in Richtung von sexueller Aktivität. Um Ihre Frage aber noch direkter zu beantworten: Ich denke, dass die Vorliebe der Forscher für Schimpansen lange Zeit ideologische Gründe hatte.

Was meinen Sie mit „ideologischen Gründen“? 

In der Wissenschaftsgemeinschaft war lange Zeit eine Hypothese dominant, die ich „Killer Apes“ (Killeraffen) nenne. Demnach war der Homo sapiens ein brutales Tier, das sich außerhalb Afrikas in ganz Eurasien verbreitet hat, indem es auf seinem Weg alle anderen großen zweifüßigen Menschenaffen eliminiert hat. Der aggressive und kriegerische Schimpanse scheint dem Profil dieser Expansion zu entsprechen, während dem pazifistischen und hedonistischen Bonobo die dafür erforderlichen Eigenschaften fehlen. Allerdings wurde dieser ideologischen und imperialistischen Version der menschlichen Evolution durch neuere wissenschaftliche Entdeckungen widersprochen. Ihnen zufolge steht das menschliche Gehirn in Wirklichkeit dem Gehirn der Bonobos näher als dem Schimpansengehirn, und die Gene spiegeln dieselbe Nähe wider.

Haben diese Beobachtungen Sie dazu gebracht, den Menschen als „bipolares Tier“ zu definieren, halb Bonobo und halb Schimpanse, also als eine Art zwischen Hedonismus und Aggressivität zerrissener Doktor Jekyll und Mister Hyde?

Ja, so kann man das gut zusammenfassen, und es bestätigt sich im echten Leben. Bei den Schimpansen sind Sex, Gewalt und Eroberung eng miteinander verbunden, und unsere Politiker, von John F. Kennedy über Dominique Strauss-Kahn bis hin zu Silvio Berlusconi, entsprechen mehr oder weniger diesem schematischen Typus. Darüber hinaus gibt es bei Menschen eine stärker pazifistische Tendenz, eine Fähigkeit zur Kooperation und eine nicht nur der Zeugung verhaftete Sexualität, um gesellschaftliche Verbindungen herzustellen. So verweist der Bonobo, der lieber Liebe macht als Krieg, auf die friedliche Seite in uns.

Im Falle der Tierbeobachtung: Wie kann man vermeiden, unsere menschlichen Kategorien auf das Verhalten der Tiere zu projizieren und, umgekehrt, wie soll man nicht zu bedeutenden Ähnlichkeiten gelangen?

Sie können Tiere nicht beobachten, ohne irgendeine menschliche Kategorie zu verwenden, denn schließlich haben wir nur diese zur Verfügung! Übrigens ähneln uns manche Tiere sehr: Die DNS von Menschenaffen ist fast zu 99 Prozent identisch mit der unsrigen. Genetisch gesprochen ist der Unterschied zwischen einem Menschenaffen und einem menschlichen Wesen so groß wie der zwischen einem Pferd und einem Zebra. Doch, ich möchte Ihnen noch ein konkreteres Beispiel geben: Wir sehen, wie sich zwei Schimpansen streiten, dann entfernt sich der eine, zehn Minuten später erneuern sie die alte Freundschaft, umarmen einander und fangen an, sich gegenseitig zu entlausen. Wie nennt man so etwas? Ich meine, es wäre legitim, den menschlichen Begriff der „Wiederversöhnung“ zu verwenden. Im Falle sich genetisch sehr ähnlicher Arten finde ich es gerechtfertigt, die gleiche Terminologie zu verwenden und sogar anzunehmen, dass diese Verhaltensweisen vergleichbare mentale Prozesse in Gang setzen. David Hume bemerkte in seinem „Essay on Human Understanding“, dass man bei der Beobachtung ähnlicher Verhaltensweisen und Diskurse ableiten könne, dass daraus auch ähnliche Prozesse resultierten. Charles Darwin hat die gleiche Hypothese aufgestellt: Wenn zwei sich nahe Spezies ein ähnliches Verhalten an den Tag legen, dann sind sie vermutlich miteinander verwandt.

Allerdings ist bei den Menschen die Versöhnung nicht immer so augenfällig …

Die Unmöglichkeit, Affen Fragen zu stellen, erlegt mir gewisse Grenzen auf. Beispielsweise kann ich nicht zu einem Schimpansen hingehen und ihn fragen: „Hast du deinem Kameraden verziehen?“ Andererseits gibt es einen immensen Vorteil im Hinblick auf Tiere, der eine mehr oder weniger „buchstäbliche“ Lektüre ihrer Verhaltensweisen gestattet: Sie lügen nicht! Und noch grundlegender, die Fortschritte der Neurowissenschaft gestatten die Präzisierung mancher Hypothesen über die Ähnlichkeit innerlicher Prozesse bei Tieren und Menschen. Um nur ein Beispiel zu geben: Man weiß über Gehirnbilder, welcher Teil der Amygdala im Gehirn beim Menschen aktiv wird, wenn er Angst empfindet. Wenn Sie bei Ratten diesen Teil des Gehirns stimulieren, empfinden sie ebenfalls Angst. Schlussfolgerung: Es handelt sich um den gleichen Prozess. 

Ein Teil Ihrer neueren Arbeit betrifft den Empathie-Begriff. Wie verstehen Sie ihn? 

In der Psychologie wird Empathie oft zu kognitiv definiert. Demnach müsste man sich in einen anderen hineinversetzen, sich die Situation, in welcher jener sich befindet, vorstellen können. Das alles ist wichtig, aber ich würde einfacher beginnen: Empathie zu zeigen, bedeutet zunächst einmal, für die Gefühle oder den Zustand, für die Körpersprache eines anderen empfänglich zu sein. Wenn sie sich mit einem traurigen Menschen unterhalten, werden Sie einen traurigen Gesichtsausdruck annehmen und einen Teil seiner Traurigkeit nachempfinden. Empathie beginnt mit dieser Art von elementaren emotionalen Übertragungen.

Sie unterscheiden drei Empathie-Niveaus.

Ja, nach der emotionalen Übertragung kommt das zweite, komplexere Niveau, das ich kognitive Empathie nenne: Da bin ich nicht mehr nur von Ihren Gefühlen betroffen, sondern möchte auch deren Grund erfahren, wissen, was ich tun kann, um Ihnen zu helfen, was auch bedeutet, Ihre Zukunft zu berücksichtigen. Menschenkinder gelangen normalerweise im Alter von zwei Jahren dahin, zur gleichen Zeit, in der sie anfangen, ihr Spiegelbild wahrzunehmen. Dies bedeutet den Übergang vom Kindsein zu einer besseren Unterscheidung zwischen sich selbst und anderen.

Erreichen Tiere dieses zweite Stadium? 

Experimente haben gezeigt, dass Hunde zu emotionaler, nicht aber zu kognitiver Empathie fähig sind. Befindet sich ein Mensch in einer schwierigen Lage – zum Beispiel wenn ihr Herrchen unter einem umgestürzten Tisch feststeckt –, begnügen sich die meisten von ihnen damit, sich hinzusetzen, zu heulen oder das Gesicht der in Gefahr befindlichen Person zu lecken … also keine sehr hilfreiche Reaktion. Dagegen reagieren Delfine oder Schimpansen, indem sie eine intelligente Hilfestellung geben. Da muss ich an ein Beispiel denken, das sich in einem schwedischen Zoo ereignet hat: Ein junger Schimpanse hatte sich in einem Seil verfangen, das ihn beinahe stranguliert hätte. Das die Gruppe anführende Männchen hat eine Strategie erfunden, um ihn zu befreien: Er hob ihn in seinen Armen hoch und schwächte so den Druck des Seils ab; er hielt ihn weiter hoch und löste mit seiner freien Pfote den Knoten. Eine sehr intelligente Reaktion: Hätte er nämlich an der Schnur gezogen, wäre der junge Schimpanse gestorben. In diesem Fall war die Hilfe zielgerichtet, eine auf Verstehen der Situation und sinnvolles Handeln ausgerichtete Reaktion.

Aber das dritte Stadium von Empathie, dem der Zuweisung von Geisteszuständen, bleibt ein dem Menschen reserviertes Gebiet?

Für die Fähigkeit, anderen eine Absicht oder eine Annahme zuzuschreiben, verwenden die Psychologen den Begriff „Theorie des Geistes“. Allerdings mag ich diesen Begriff nicht besonders, denn ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt es sich dabei um einen theoretischen Prozess handelt. Die Forscher David Premack und Guy Woodruff haben in den siebziger Jahren gezeigt, dass Schimpansen fähig sind, ihren Artgenossen bestimmte Absichten zuzuschreiben. Sie haben folgende List beobachtet: Wenn ein Schimpanse etwas zu essen gefunden hat, stößt er einen Warnschrei aus, als habe er eine Schlange gesehen, und macht sich dann die allgemeine Panik zunutze, um in aller Ruhe die von anderen zurückgelassenen Früchte zu verspeisen. Trickserei bedeutet nämlich, dass man fähig ist, die Absichten der anderen zu manipulieren. Die als höhere kognitive Fähigkeit empfundene „Theorie des Geistes“ wurde zunächst bei Kindern festgestellt, dann hinsichtlich der Affen negiert, dann für einige unter ihnen doch wieder anerkannt … es ist eine endlose Debatte.

Jedenfalls stimmen Sie mit David Hume und Adam Smith dahingehend überein, dass Sie Empathie als Grundlage für moralische Verhaltensweisen annehmen. 

Im Hinblick auf Moral ist Empathie notwendig, aber nicht ausreichend, was Hume und Smith sehr wohl verstanden hatten. Es ist eine notwendige Haltung, denn nur weil es Empathie gibt, handeln Individuen nicht wie isolierte Zellen, interessieren sich füreinander und schaffen soziale Interaktionen. Ohne Empathie gäbe es keine Gesellschaft und folglich auch keine moralischen Dilemmata. Nichtsdestoweniger ist Empathie nicht ausreichend, denn man muss, um ein Urteil darüber zu fällen, was gut und was böse ist, in der Lage sein zu unterscheiden zwischen den Dingen, wie sie sind, und den Dingen, wie sie sein sollten. Fragt man, ob Schimpansen moralische Wesen sind, antworte ich, dass Menschenaffen die emotionalen Grundlagen haben, um eine Moral zu schaffen, dass ich aber nicht sicher bin, ob sie sich untereinander über Gut und Böse unterhalten. Darwin, welcher stark beeinflusst war von Hume und Smith, machte dieselbe Fortschrittlichkeit aus, von den Grundlagen des Verhaltens bis hin zu einem moralisch elaborierten Urteil: Ihm zufolge wird die Moral aus dem sozialen Instinkt geschaffen.

Gemeinsam mit anderen Forschern haben Sie eine kleine philosophische Revolution verursacht, da Sie dabei sind, das Auftreten von Moral wieder in die Dynamik der menschlichen Evolution zu integrieren, und somit daraus eine Verlängerung der Natur zu machen …

Vor 30 Jahren glaubte jeder an folgende Geschichte, die ich die Fabel vom „Lack der Zivilisation“ nennen möchte: Demnach wären wir Menschen von Natur aus egoistisch und gewalttätig. Die Moral wäre erst später als Folge der Zivilisation hinzugekommen, um gegen unsere tierischen Instinkte anzugehen. Sie wäre also das Ergebnis einer kulturellen und religiösen Entwicklung. Unglücklicherweise ist das Gleichgewicht jedoch prekär und der Lack der Zivilisation ständig in Gefahr, feine Risse zu bekommen, die dann bei Tageslicht besehen die unserer Spezies inhärente natürliche Brutalität enthüllen würde. Es war das Christentum, das uns eine so düstere Sicht des tierischen Wesens eingeschärft hat! In der Realität nämlich, das haben zahlreiche Entdeckungen der Neurowissenschaften oder in der Primatologie gezeigt, ist auch die Spezies Mensch von Natur aus für Empathie und Kooperation begabt. Wir haben entdeckt, dass unfreiwillige altruistische Triebe existierten.

Was geben Sie Gläubigen zur Antwort, für die die Moral von Gott gegeben ist, und Anthropologen, die aus der Moral ein kulturelles Konstrukt machen? 

Aktuelle Religionen sind gerade einmal 2000 oder 3000 Jahre alt. Vom Blickwinkel der Evolution ist das gar nichts. Es fällt mir schwer anzunehmen, dass unsere Vorfahren vor 25 000 oder 30 000 Jahren über keinerlei Moralsystem verfügt haben sollen. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass die Moral weit älter ist als der Monotheismus und sogar als alle Religionen. Hinsichtlich der Kultur stößt man auf andere Schwierigkeiten: Das Auftreten erster – selbst rudimentärster – Kulturen liegt ein bis zwei Millionen Jahre zurück. Wer war zuerst, Moral oder Kultur? Ich kann es nicht sagen.

Trägt auch die Tradition der modernen Philosophie eine Schuld? 

Die westliche Philosophie hat eine absteigende Sichtweise der Moral angenommen – top-down –, indem sie aus ihr ein Ergebnis kognitiver Vernunft gemacht hat. Für mein Gefühl ist genau das Gegenteil wahr. Wir interagieren und empfinden deshalb Emotionen: Daher kommt die moralische Haltung. Das moralische Räsonnement kommt also a posteriori, und die Moral entwickelt sich von unten nach oben – bottom-up. Um diese Sicht der Dinge zu stützen, haben wir in Zukunft einige Beweismittel. Wenn man beispielsweise Leute in Computertomografen platziert und von ihnen verlangt, moralische Probleme zu lösen, sieht man, dass sie dafür alte, sehr tief im Gehirn eingegrabene emotionale Zentren aktivieren. Die moralische Entscheidung schöpft also aus einer mehrere Millionen Jahre alten zerebralen Quelle. •

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