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Bild: Dainis Graveris (Unsplash)

Essay

„Genderismus“ als Sündenbock

Judith Butler veröffentlicht am 16 Dezember 2021 11 min

Weltweit positionieren sich Regierungen und politische Gruppen gegen die „Genderideologie“. Allerdings geht es ihnen dabei nur vermeintlich um Recht und Ordnung, wie sie selbst gerne behaupten. Judith Butler argumentiert, dass der Treiber des „Antigenderismus“ in Wahrheit die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft und Zensur ist.

 

Im Juni dieses Jahres verbannte das ungarische Parlament mit großer Mehrheit die Themen „Homosexualität und Geschlechtsumwandlung“ aus den Klassenzimmern staatlicher Schulen und brachte zur Begründung LGBTQI-Rechte und -Aufklärung mit Pädophilie und totalitärer Kulturpolitik in Verbindung. Ende Mai verabschiedeten dänische Abgeordnete eine Resolution gegen „exzessiven Aktivismus“ in der akademischen Forschung; auf ihre Liste bedenklicher Fächer schafften es unter anderem die Gender Studies, Critical Race Theory, Postkolonialismus und Immigrationsforschung. Im Dezember 2020 stoppte das Oberste Gericht in Rumänien ein Gesetz, mit dem das Unterrichten von „Geschlechtsidentitätstheorie“ verboten werden sollte, doch die hitzige Debatte im Land geht weiter. Transphobe Aktivisten in Polen haben transfreie Räume ausgerufen, um das Land von zersetzenden Kultureinflüssen aus den USA und Großbritannien reinzuhalten.

Die Angriffe auf die sogenannte „Gender-Ideologie“ haben sich in den letzten Jahren weltweit verschärft und dominieren – von digitalen Netzwerken geschürt und von rechten katholischen und evangelikalen Großorganisationen unterstützt – die öffentliche Debatte. Auch wenn sich diese Gruppen nicht in allem einig sind, so doch darin, dass die traditionelle Familie unter Beschuss geraten ist, Kinder unter der Indoktrination in den Klassenzimmern zu Homosexuellen werden und „Gender“ eine gefährliche, wenn nicht diabolische Ideologie darstellt, die Familien, lokale Kulturen, ja die Zivilisation selbst zu zerstören droht.

Die Argumente der Anti-Gender-Bewegung sperren sich gegen eine schlüssige Rekonstruktion, weil es ihren Vertretern nicht unbedingt auf Konsistenz und Kohärenz ankommt. Um die „Gender-Ideologie“ beziehungsweise „Gender Studies“ – oder was sie darunter verstehen – zu bekämpfen, greifen sie zu allerlei zusammengeklaubten hetzerischen Behauptungen, bei denen ihnen alle rhetorischen Mittel recht sind. Zum Beispiel sind sie gegen „Gender“, weil damit das biologische Geschlecht geleugnet oder die Natürlichkeit und göttliche Natur der heteronormativen Familie untergraben würde. Sie fürchten, dass Männer ihre dominante Rolle einbüßen oder unerträglich erniedrigt werden, wenn wir erst anfangen, Geschlecht als Gender zu denken. Sie glauben, Kindern würde eingeredet, sie sollten ihr Geschlecht ändern, sie würden von Homosexuellen oder Transpersonen geködert oder in Bildungskontexten, deren offener Diskurs über Gender als Indoktrination karikiert wird, unter Druck gesetzt, sich als homosexuell zu erklären. Und sie haben die Sorge, wenn so etwas wie „Gender“ gesellschaftlich akzeptiert wäre, würde sich eine Flut sexueller Perversionen, nicht zuletzt Sodomie und Pädophilie, über die Erde ergießen.

Auch wenn die Bewegung allgemeiner nationalistisch, transphob, misogyn und homophob ist, besteht ihr Hauptziel in einer Umkehrung der rechtlichen Fortschritte, die die LGBTQI- und feministischen Bewegungen in den letzten Jahrzehnten erkämpft haben. Mit ihrem Angriff auf „Gender“ setzt sie sich gegen die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen und die Rechte alleinerziehender Eltern ein; sie stellt sich gegen den Schutz von Frauen vor Vergewaltigung und häusliche Gewalt; und sie verweigert Transpersonen nicht nur juristische und soziale Rechte, sondern damit einhergehend auch eine ganze Reihe rechtlicher und institutioneller Schutzmaßnahmen gegen geschlechtliche Diskriminierung, Zwangspsychiatrisierung, brutale körperliche Misshandlung und Ermordung. Dieser ganze Eifer hat während der Pandemie noch zugenommen, in deren Folge häusliche Gewalt in die Höhe schnellte und queere sowie Transjugendliche der Räume beraubt wurden, die sie für ihre lebenswichtigen Unterstützungsnetzwerke brauchen.

Vieles, was dort über Gender Studies und Geschlechtsidentität behauptet wird, lässt sich leicht entkräften oder gibt sich selbst der Lächerlichkeit preis, da es die Wirklichkeit meist nur karikiert und nicht selten an Fantasterei grenzt. Falls sachliche Auseinandersetzung etwas zählt (hoffen wir, dass sie es noch tut), dann ist festzuhalten, dass es nicht den einen Gender-Begriff gibt und dass die Gender Studies ein komplexer und vielfältiger Forschungszweig sind, zu dem ganz unterschiedliche Wissenschaftler:innen beitragen. Sie bestreiten nicht, dass es ein biologisches Geschlecht gibt; sie fragen danach, wie Geschlecht durch medizinische und rechtliche Rahmenbedingungen hergestellt wird, wie sich dieser Rahmen historisch verändert hat und welchen Unterschied es für die soziale Organisation unserer Welt macht, wenn das Geschlecht, das wir bei der Geburt zugewiesen bekommen, für das weitere Leben unter anderem in den Arbeits- und Liebesverhältnissen keine vorbestimmende Rolle mehr spielt.

Im Allgemeinen stellen wir uns die Zuweisung des Geschlechts als etwas vor, das nur einmal geschieht. Aber was ist, wenn wir es uns als komplexen und revidierbaren Prozess denken? Das heißt über die Zeit revidierbar für diejenigen, die das falsche Geschlecht zugewiesen bekommen haben? Wer eine solche Perspektive einnimmt, stellt sich nicht gegen die Wissenschaft, sondern fragt nur, in welcher Weise Wissenschaft und Recht in die soziale Regulierung von Identitäten eingehen. „Aber es gibt zwei Geschlechter!“ Ja, üblicherweise schon, aber selbst die Ideale des Geschlechtsdimorphismus, die unsere alltäglichen Geschlechtsvorstellungen prägen, werden in vielerlei Hinsicht nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch von der Intersex-Bewegung bestritten, die gezeigt hat, wie verzwickt und folgenreich die Geschlechtszuweisung sein kann. Sich zum Thema Gender Fragen zu stellen, etwa wie die Gesellschaft entlang von Gender organisiert ist und welche Folgen das für unser Verständnis von Körpern, gelebter Erfahrung, intimen Beziehungen und Lust hat, bedeutet, sich auf eine offene Erkundung und Untersuchung einzulassen und sich gegen die dogmatischen gesellschaftlichen Kräfte zu positionieren, die emanzipatorische Veränderungen aufzuhalten und rückgängig zu machen suchen. Das hindert diejenigen, die sich selbst auf der Seite der „Kritik“ wähnen, allerdings nicht daran, „Gender Studies“ als „Dogma“ zu bekämpfen.

Als Entgegnung könnte man in aller Ausführlichkeit über die unterschiedlichen Methoden und Debatten innerhalb der Gender Studies, die Komplexität der Forschung und die Anerkennung sprechen, die das Fach als dynamisches Forschungsfeld weltweit erfahren hat. Das würde aufseiten der Leser und Zuhörer jedoch einen wirklichen Bildungswillen voraussetzen. Da sich die meisten Gegner aber dagegen verwehren, sich ihren Ansichten widersprechende Inhalte anzueignen, oder sich aus komplexen Texten nur herauspicken, was ihre Karikatur der Sache zu stützen scheint, wird man bei ihnen damit nicht weit kommen.

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Daniel Fastner
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