Georges Vigarello: „Es gibt eine Besessenheit, was die Schlafqualität betrifft“
Ist Mittagsschlaf schädlich? Darf man beim Schlummern auf dem Rücken liegen? Die Antworten auf diese Fragen, so zeigt Georges Vigarello, haben sich im Lauf der Geschichte radikal gewandelt. Noch nie jedoch war der Schlaf mit so vielen Erwartungen überfrachtet wie in unserer Gegenwart.
Herr Vigarello, Sie haben ein Buch über die Geschichte der Müdigkeit geschrieben. Ist die Geschichte des Schlafs ein Teil davon?
Georges Vigarello: Das ist sie natürlich. Wenn man in frühere Zeiten zurückblickt, stellt man zum Beispiel fest, dass Schlafmangel, also Wachbleiben, immer mit Müdigkeit in Verbindung gebracht wird. Allerdings in den verschiedenen Epochen auf unterschiedliche Weise: Im Mittelalter zum Beispiel behaupten die Autoren, dass man tagsüber auf keinen Fall schlafen sollte. Warum ist das so? Weil sie den „Zustand“ der Müdigkeit mit dem Verlust bestimmter „Körpersäfte“ in Verbindung bringen, die nach dem damaligen Wissenskanon die vier großen Kategorien des menschlichen Körpers bilden: Blut (sanguis), gelbe Galle (cholera), schwarze Galle (melancholia) und Schleim (phlegma). Das ist sehr interessant in Bezug auf die Vorstellungswelt des Körpers und führt zu der Annahme, dass Ihr Körper, wenn Sie tagsüber schlafen, vom Licht beansprucht wird, sodass weiterhin Säfte austreten. Die Wirksamkeit des Schlafs geht dadurch, so die mittelalterlichen Autoren, verloren. Denn der Schlaf ermöglicht es, durch den inneren Körpersaft Wärme zu speichern sowie die Verdauung und die Nahrungsaufnahme zu fördern. Im Grunde sagen sie: Wenn sich das Individuum im Schlaf in sich selbst zurückzieht, wird es warm, was der Nahrung eine bessere Verteilung im Körper ermöglicht. Beachten Sie, dass dies gar nicht so weit von dem entfernt ist, was die Neurowissenschaften sagen, wenn sie zeigen, dass der Schlaf nicht einfach eine leere Zeit ist, sondern eine Zeit der Regeneration, in der wir Hormone, Zellen und so weiter wiederherstellen.
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