Projizierte Kunst
Das Metropolitan Museum of Art macht Werke von Weltrang per Instagram-Filter erfahrbar. Aber zerstört das nicht die Aura der Meisterwerke? Keineswegs, wie ein Blick in die Schriften Walter Benjamins zeigt.
Was im Bereich digitaler Kunstvermittlung machbar ist, wenn man die technischen Möglichkeiten voll ausnutzt, zeigt aktuell das Metropolitan Museum of Art (MET), indem es Kunstinteressierte ausgewählte Stücke in den eigenen vier Wänden genießen lässt – zumindest virtuell. Für Instagram hat das MET einen Videofilter entwickelt, mit dem man beispielsweise das eigene Wohnzimmer filmen und unter anderem Vincent Van Goghs Selbstporträt mit Strohhut durch den Handybildschirm auf eine Wand projizieren kann. Verdirbt eine solche Anwendung allerdings nicht die besondere Aura solcher Meisterwerke? Gerade Walter Benjamin würde dies verneinen, obwohl er in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit den Verlust eben jener künstlerischen Aura durch die Möglichkeit der Vervielfältigung in Gefahr sah. Der Grund: Im engeren Sinne handelt es sich bei einer Projektion nicht um eine Reproduktion. Letztere nämlich will „wie echt sein“, Erstere hingegen erhebt gar nicht diesen Anspruch. Anders als ein nahezu perfekter Abzug eines Bildes also, das dem Original in Medialität, Maßen und Anmutung möglichst exakt entsprechen soll, beschränkt sich die Projektion wortwörtlich auf die Übertragung nur einer Qualität. In diesem Fall den optischen Eindruck. Beinahe wirkt es sogar so, als hätten die Entwickler ihre Anwendung bewusst antiauratisch gestaltet, da sich der Filter nach 15 Minuten schließt und neu gestartet werden muss. Wenn für Benjamin Aura also die „einmalige Erscheinung einer Ferne (ist), so nah sie sein mag“, ist die des tatsächlichen Gemäldes durch den temporären Digital-Van-Gogh sicher nicht in Gefahr. •
Mehr zum Filter auf der Website des MET
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