Vom Nutzen der nutzlosen Kunst
In jüngster Zeit wird Kunst oft daran gemessen, welche moralischen Inhalte sie vermittelt. Aber wird man dem, was Kunst ausmacht, damit gerecht? Friedrich Schiller, der Kants Ästhetik mit Begeisterung liest, zeigt, dass der moralische Wert in etwas anderem liegt.
In welchem Verhältnis stehen Kunst und Moral? In den letzten Jahren scheint sich die Auffassung durchzusetzen, es sei Aufgabe der Kunst, moralische Inhalte zu vermitteln. Sie sei also daran zu messen, welche Botschaften sie sende, welche Personen und Themen sie auf welche Weise repräsentiere beziehungsweise ihnen eine Plattform biete. Die Trennung zwischen Autor und Werk wird dabei zunehmend aufgehoben, sodass auch die moralischen Verfehlungen und Vorzüge des Urhebers zur Beurteilung herangezogen werden. Entsprechend diesen Kriterien werden einerseits Bücher umgeschrieben, Bilder abgehängt und Popsongs aus den Radioprogrammen genommen; andererseits Förderungen, Stipendien und Auszeichnungen vergeben. Demgegenüber stehen diejenigen, für die Kunst und Moral überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Für sie besteht der ästhetische Standpunkt im Extremfall darin, selbst größte Grausamkeit als reizvolles Spektakel zu betrachten. Ästhetische Meisterschaft haben dieser Ansicht nach Personen wie Nero erlangt, der angeblich singend den von ihm verursachten Brand Roms beobachtete, oder Karlheinz Stockhausen, der die Anschläge des 11. Septembers 2001 als „größtes Kunstwerk“ überhaupt bezeichnete. Fast vergessen scheint hingegen eine dritte Haltung, die sich in der von Kant inspirierten Ästhetik Friedrich Schillers finden lässt: Kunst erfüllt einen wesentlichen moralisch-politischen Zweck. Doch kann sie das paradoxerweise nur, wenn sie von aller Instrumentalisierung freibleibt, einschließlich der moralischen. Kant bestimmt die ästhetische Erfahrung des Schönen in seiner Kritik der Urteilskraft als „Wohlgefallen ohne alles Interesse“ und spricht davon, dass wir im Gegenstand dieser Erfahrung eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ wahrnehmen. 1795, fünf Jahre nach der Kritik der Urteilskraft, erscheinen Friedrich Schillers Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Schiller schließt sich Kants Einschätzung an und hält fest: „Die Schönheit gibt schlechterdings kein einzelnes Resultat weder für den Verstand noch für den Willen, sie führt keinen einzelnen weder intellektuellen noch moralischen Zweck aus, sie findet keine einzige Wahrheit, hilft uns keine Pflicht zu erfüllen, und ist, mit einem Wort, gleich ungeschickt, den Charakter zu gründen und den Kopf aufzuklären.“ Kunst, so lassen sich diese Überlegungen zusammenfassen, ist in einem umfassenden Sinn nutzlos.
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