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Bild: © ITAR-TASS (Imago)

Impuls

Ein Heer lebender Toter

Friedrich Weißbach veröffentlicht am 05 Oktober 2022 6 min

Russland wirbt in Gefängnissen für Soldaten und schickt gezielt Mörder und Vergewaltiger an die Front. Die Einbeziehung von Gefangenen für den Krieg in der Ukraine sagt nicht nur etwas über die Perfidität des Krieges an sich, sondern auch über das entmenschlichte Schicksal von Häftlingen.

 

„Putins Koch“ – so wird Jewgenij Prigoschin genannt. Doch schon lange liegt sein Fokus nicht mehr auf den Speisen für sein exklusives Restaurant im Kreml. Was er seit der Besetzung der Krim zusammenbraut, ist genauso tödlich wie perfide. Denn neben seinem Beruf als Gastronom gilt er als Gründer und leitender Kopf der Gruppe Wagner, einer seit 2014 bestehenden paramilitärischen Söldnergruppe, die in enger Verbindung mit Putin steht und oft die inoffiziellen Interessen Russlands in der Welt durchsetzt. Ihre Soldaten werden nicht selten direkt in den russischen Gulags angeheuert und sind deswegen oft verurteilte Mörder und Vergewaltiger. Auch im Ukrainekrieg spielt die Gruppe eine tragende Rolle und so gingen in den vergangenen Wochen Videos um die Welt, in denen Prigoschin auf den Plätzen verschiedener Gefangenenlager steht und den ihm lauschenden Männern ein Leben in Freiheit und Ruhm verspricht, wenn sie in der Ukraine für seine Gruppe kämpften. Dass man vor der Teilmobilmachung verurteilte Verbrecher für den Krieg rekrutiert hat, verfolgt eine doppelte, in sich dialektische Logik und kann nicht nur als Ausdruck einer besonders grausamen Kriegsstrategie gelesen werden und der Perfidität von Kriegen allgemein, sondern zeugt auch von der fehlenden Wertigkeit von den Leben der Gefangenen.

 

Experten des Todes

 

Nur wenige andere Taten verdeutlichen die schreckliche Fratze des Krieges wie die Logik der karzeralen Mobilmachung: Es ist eine Logik des Expertentums. Während Mörder und Straftäter in Friedenszeiten für ihre Taten gefangen und eingesperrt werden, gewinnen sie in Kriegszeiten gerade wegen ihrer Brutalität und Hemmungslosigkeit einen besonderen Wert für die Gesellschaft. Zuvor verurteilt, gelten sie im Zuge des Krieges als willkommene Unterstützer. Ihnen wird sogar aufgrund ihrer „besonderen Qualifikationen“ nicht nur die Möglichkeit geboten, ihre Freiheit zurückzugewinnen, sondern auch zu gefeierten Nationalhelden zu werden. Das Verstörende daran ist, dass es ein und dieselben Taten sind, die ihnen diese gesellschaftliche Metamorphose ermöglichen – das Töten und Vergewaltigen. 

Die Logik des Expertentums verdeutlicht zum einen, dass Handlungen keineswegs per se als gut oder schlecht bewertet werden, sondern dass ihre Beurteilung wesentlich von dem gesellschaftlichen Framing abhängen. Ganz im poststrukturalistischen Sinne konstruieren die gesellschaftlichen Erzählungen, die um eine Handlung gesponnen werden, die Grundlage für unser Verständnis und Urteile von und über sie. In diesem Sinne beschreibt Sprache nicht einfach nur die Wirklichkeit, sondern erschafft sie. Deutlich wird dies an der Tat des Tötens: In Friedenszeiten gilt das Töten als eine Straftat die gesellschaftlich geächtet ist und unter Höchststrafe steht. Im Krieg transformiert dieselbe Tat zu einem ehrenwerten Akt für das Vaterland – aus brutalem Mord, den es zu bestrafen gilt, wird so die mutige Verteidigung der Nation. 

Zum andern offenbart die normative Transformation des Tötens das eigentliche Wesen des Krieges: Krieg stellt die gesellschaftlichen Werte auf den Kopf, normalisiert so die schlimmsten Taten des menschlichen Zusammenlebens und lässt aus Mördern Helden werden. Krieg muss deswegen als die Störung schlechthin einer zivilen Gesellschaft verstanden werden. Denn wo töten als Heldentat gefeiert wird, bleibt kein Platz mehr für Humanität.

 

Das Leben im souveränen Bann

 

Zudem wird durch die karzerale Mobilmachung die Logik verfolgt, die Streitkräfte ohne Rückgriff auf die Bevölkerung zu stärken. Bevor die „anständige“ Bevölkerung in den Krieg geschickt wird und damit der Unmut und mögliche Unruhen in der Bevölkerung provoziert werden, entsendet man Menschen, deren Tod keinen Verlust darstellen, weil sie aufgrund ihrer Handlungen von der Gesellschaft ohnehin verächtet sind. Diese Logik verdeutlicht den dialektischen Wert, der den Leben der verurteilten Häftlinge zugeschrieben wird: Denn neben ihren zweifelhaften „Qualifikationen“ sind diese Individuen auch deswegen für die Rekrutierung interessant, weil ihre Schicksale durch gesellschaftliche und politische Wert- und Zukunftslosigkeit geprägt sind.

Folgt man den Überlegungen des Philosophen Giorgio Agamben ist diese Wertlosigkeit, die angesichts des Krieges in einen besonderen Wert umschlägt, Ausdruck bestehender Herrschafts- und Souveränitätsstrukturen, wie sie das politische Geschehen spätestens seit dem Frieden von Westfalen und dem daraus entstehenden westfälischen Modell als Wurzel nationalstaatlicher Souveränität prägen. Agamben versteht die Wertlosigkeit der verbannten Leben und die Allmacht des Herrschers als zwei Seiten einer Medaille. Demnach können die Verbannten und der Souverän als sogenannte homines sacri betrachtet werden. Den homo sacer kennzeichnet, dass er strukturell außerhalb des Rechts steht. Dabei unterscheidet sich die Stellung des Souveräns und des Gefangenen fundamental in ihrer Qualität: Der Herrscher steht außerhalb des Rechts, weil er alles machen kann, ohne von diesem zur Rechenschaft gezogen werden zu können. In diesem Sinne ist er souverän. Die Verbannten sind dagegen außerhalb des Rechts, weil ihre Leben ohne Konsequenz genommen werden können. Sie sind vogelfrei. Besonders die Gefangenen als außerhalb des Rechts zu beschreiben, mag auf den ersten Blick verwundern. Denn wer sonst ist mit dem Recht so stark verbunden wie der verurteilte Straftäter? Doch der Schein trügt, denn tatsächlich wird in den rechtlich konstruierten Straflagern ein rechtsfreier Raum geschaffen. Nicht nur in Russland, sondern weltweit – man denke beispielsweise an das US-amerikanische Gefangenenlager von Guantanamo – machen Menschenrechtsorganisationen darauf aufmerksam, dass Gefangene immer wieder Opfer von gewaltvollen Übergriffen von Seiten der Behörde werden, ohne dass den Tätern irgendeine rechtliche Konsequenz drohen würde. Das Leben der Gefangenen gilt als wertlos. 

 

Produktion lebender Toter

 

Das Schicksal der Gefangenen erweist sich in diesem Sinne als Ausdruck einer besonders grausamen Form der Nekropolitik. Dieses von dem Philosophen Achille Mbembe geprägte Konzept kommt von dem altgriechischen Wort νεκρός (nekrós), das mit Tod zu übersetzen ist, und kann als Ergänzung des Konzepts der Bio-Politik von Michel Foucault verstanden werden. Statt um die Organisation, Verwaltung und Produktion von Leben, beschreibt das Konzept die Produktion eines vorzeitigen Todes. Als Teil einer Nekropolitik gelten demnach all die Praktiken eines staatlichen Souveräns, die zum sozialen oder politischen Tod von Individuen führt. Der gesellschaftliche Tod wiederum ist Voraussetzung dafür, um mit rechtlichen Mitteln rechtsfreie Räume zu schaffen, in denen Individuen potenziell ihrer menschlichen Würde ohne Konsequenzen entzogen werden können. Das Produkt der Nekropolitik sind Individuen deren Leben keinen gesellschaftlichen Wert hat und deswegen – wie es Judith Butler formuliert – nicht betrauerbar sind. Anhand der karzeralen Mobilmachung wird diese Logik überdeutlich. Besonders angesichts der starken öffentlichen Reaktionen hinsichtlich der Teilmobilmachung der Reservisten zeugt das gesellschaftliche Schweigen von der Bedeutungslosigkeit der Schicksale der Inhaftierten.

Ziel dieser Reflexion ist es ausdrücklich nicht, die Gefangenen zu Opfern zu stilisieren oder ihre Handlungen zu verharmlosen: Sie bleiben Mörder und Vergewaltiger und das bleibt schändlich. Vielmehr soll auf einen Missstand verwiesen werden, der anhand ihrer Schicksale offen zu Tage tritt, sich aber nicht nur auf die Gefangenen in Russland beschränkt, sondern sich strukturell wenn auch unter zum Teil ganz anderen Vorzeichen in den Gefängnissen und Migrationslagern weltweit wiederholt. Die rechtliche Schaffung von rechtsfreien Räumen, in denen ein Leben keinen Wert mehr hat, muss genannt, kritisiert und verhindert werden. Tut man dies nicht, entzieht man sich als Gesellschaft jegliche moralische Grundlage, auf der man Verbrechen verurteilen kann. Soll der Anspruch des Humanismus ernst genommen werden, dann bedeutet dies, niemals die Würde des Menschen aus dem Blick zu verlieren und das heißt: Kein Mensch darf enthumanisiert werden.

 

Auferstehung von den Toten

 

Letztlich erlaubt uns der nekropolitische Blick auf das Geschehen auch eine Antwort auf die Frage, warum so viele Gefangene das Wagnis eingehen, in den Krieg zu ziehen, obwohl es auch für sie keine Pflicht ist. Zu einem Leben als Homo Sacer verbannt, erscheint für viele offensichtlich die Aussicht auf den Tod nur halb so verschreckend. Zudem gibt der Krieg ihnen die einmalige Chance von den Toten aufzuerstehen und frei zu sein. Und so erinnert ihr Schicksal an das der Gladiatoren des alten Roms. Vom Sklaventreiber Jewgenij Prigoschin in die Arena getrieben rufen sie ihrem Imperator entgegen: „Ave Caesar, morituri te salutant“ („Heil dir Caesar, die Todgeweihten grüßen dich“). Gestern wie heute kämpfen die Todgeweihten zur Belustigung eines Tyrannen um ihre Freiheit. Und gestern wie heute zeugt die Praxis von der eigentlichen Grausamkeit ihrer Herrscher. •

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