Joseph Vogl: „Die Macht hat keinen zentralen Ort“
Das Wesen der Macht gehört zu den großen Rätseln jeder Gesellschaft. Kaum jemand ist ihr mit literarischen Mitteln derart auf die Schliche gekommen wie Franz Kafka. Ein Gespräch mit Joseph Vogl über die Bürokratisierung des Himmels, Kafkas Lachen und Löcher in der Mauer.
Herr Vogl, welche Rolle spielt Macht bei Kafka?
Der Versicherungsjurist Kafka ist ein Experte der Macht, er behandelt sie auf allen Ebenen – von der Familienzelle über Institutionen und Geschäftswelten bis in das Fleisch der Gesellschaft hinein. Und sein Zugang zu Machtfragen ist eng mit der politischen Groteske verbunden, mit dem Komischen.
Haben Sie dazu eine Lieblingsstelle?
Es gibt eine wunderbare autobiografische Passage, in der er seiner Verlobten Felice Bauer seine Beförderung zum Konzipisten in der österreichischen Arbeiter-Unfallversicherung schildert. Kafka beginnt mit dem Satz: „Ich kann auch lachen, Felice, (...) ich bin sogar als großer Lacher bekannt“. Er beschreibt dann, wie er mit zwei Kollegen zum Präsidenten der Anstalt geladen wird, zur feierlichen Prozedur. Da sitzt also dieser Präsident, gleichsam in Wolken entrückt, im Habitus eines Stellvertreters des Kaisers, mit schaukelndem Bauch. Hinzu kommt die Lächerlichkeit eines Mannes, dessen hohe Stellung nicht ganz seinen Verdiensten entspricht. Kafka hat bereits kleine Lachanfälle, tarnt sie als Hustenreiz. Dann beginnt die weihevolle und hohle Rede des Präsidenten, und Kafkas Lachen wird unbezwingbar. Zu allem Unglück fängt dann ein Kollege Kafkas, ein guter Biertrinker, mit einer läppischen Dankesrede an. Nun wurde es Kafka zu viel. Die Welt verging ihm, das Lachen steigert sich zu einem unmenschlichen Heulen, vor Lachen gekrümmt und todunglücklich stolpert er am Ende aus dem Saal – ein Vorfall, der als Amtsaffäre in Erinnerung bleiben sollte.
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