Leben und Werk im Widerspruch: Judith Butler
Auch bei Philosophen passt nicht immer alles zusammen. In dieser Reihe beleuchten wir Widersprüche im Werk und Leben großer Denker. Heute: Judith Butler, die eine Ethik der Gewaltlosigkeit vertritt, aber den Terror der Hamas als „bewaffneten Widerstand“ bezeichnet.
Anfang März hat Judith Butler auf einer Veranstaltung in Paris erklärt, dass die Hamas-Angriffe am 7. Oktober letzten Jahres weder terroristisch noch antisemitisch waren, sondern ein Fall von „bewaffnetem Widerstand‟. Sie tat dies nicht in einem Nebensatz, sondern insistierte, dass diese Wortwahl für den „Aufstand‟ „ehrlich‟ und „historisch korrekt‟ sei.
Die inhaltliche Ausrichtung von Butlers Arbeiten, vor allem in den letzten Jahren, verleihen ihren Aussagen eine besondere Brisanz: Die jüdische US-amerikanische Philosoph:in, mit ihren kontroversen Thesen zu Geschlecht als performative Kategorie bekannt geworden, hat sich seit ihrem auf Deutsch 2005 erschienen Buch Gefährdetes Leben zunehmend Fragen der Gewalt und der Gewaltlosigkeit zugewandt. So problematisiert sie etwa das Unsichtbarmachen von bestimmten Opfern, z.B. die von Femiziden in Lateinamerika, die nicht gleichermaßen betrauert werden wie z.B. die westlichen Opfer von Terrorismus. In Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen (2020) plädiert sie für einen gewaltfreien, aber militanten Widerstand gegen Unterdrückung und Gewalt. In diesem Zusammenhang kritisiert sie eine linke Haltung, die bei Selbstverteidigung eine Ausnahme vom Gebot der Gewaltfreiheit machen will. Eine solche Vorstellung von einem „Selbst‟, das um jeden Preis, auch den der Vernichtung des Gegners, zu retten sei, sei individualistisch und verkenne die soziale Verbindung zwischen diesem Selbst und dem, von dem Gewalt ausgeht. So schadet jeder, der Gewalt ausübt, auch im Falle von Selbstverteidigung, letztlich auch sich selbst. Wie geht diese Parteinahme für Gewaltlosigkeit mit ihrem Statement über die Hamas zusammen?
In Paris wie auch in Stellungnahmen im Nachgang hat Butler betont, dass die Bezeichnung „bewaffneter Widerstand‟ nicht als Befürwortung gemeint sei, man könne über diese „Strategie‟ der Hamas streiten, sie also auch ablehnen, wie sie das tue. Als Denker:in, die sehr präzise über die Macht der Sprache reflektiert hat, welche die Realität framed und somit bestimmte Dimensionen ausblendet, ist sich Butler aber natürlich bewusst, was sie tut, wenn sie den 7. Oktober als Akt des Widerstands bezeichnet: Sie rückt das Massaker damit in die Nachbarschaft etwa der Résistance der Franzosen gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg oder des Kampfes der Kurdinnen gegen die Unterdrückung des türkischen Staats, und weg von etwa den Anschlägen vom 11. September oder denen 2015 in Paris. In einem linken Kontext von „Widerstand‟ zu sprechen kommt einer Würdigung gleich, auch wenn man sich im nächsten Atemzug von den Mitteln distanziert.
Wie ist dieser diskursive Move Butlers einzuordnen? Die Philosoph:in scheint sich mit ihren Aussagen selbst als im Widerstand Agierende zu verstehen: Sie sieht eine verlogene Debatte, die israelisches Leben als wertvoller betrachtet als palästinensisches, und dies durch den Einsatz von Begriffen wie Antisemitismus, Terror oder Pogrom abzustützen versucht. Mit ihrem Beharren auf der Bezeichnung „Widerstand‟, lässt sie die Hamas als politischen Akteur auftreten, der für die Wertigkeit der palästinensischen Leben kämpft. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob Butler sich nicht in den verengten Rahmen der Feindseligkeiten einzwängen lässt und ihrer Logik verfällt, auf einer Art, vor der sie in Die Macht der Gewaltlosigkeit explizit warnt: Zu argumentieren, dass Gewalt die einzige mögliche Antwort auf Gewalt ist, heißt, „das Mitspracherecht‟ darüber aufzugeben, „ob Gewalt weiter angewendet werden soll‟. Auch in extrem gewaltvollen Unterdrückungsszenarien gebe es „Widerstandsmöglichkeiten ... in das Kraftfeld der Gewalt einzudringen, um es zu unterbrechen.‟ Auch wenn Butler das Vorgehen der Hamas ablehnt, kommt ihre Intervention einer Kapitulation vor den gewaltvollen Verhältnissen gleich, mit der dieser sogenannte Widerstand nicht bricht, im Gegenteil. Wenn ein:e Denker:in von Butlers Statur in ihren Schriften überzeugend Gestaltungsräume jenseits festgefahrener Dichotomien öffnet, um sie in ihrem politischen Handeln wieder zu verschließen, ist das enttäuschend. Wir brauchen, vor allem in gefährlich nuancenarmen Zeiten wie diesen, Intellektuelle, die diese leidenschaftlich – und militant! – immer wieder öffnen. •
Millay Hyatt wurde in Dallas/Texas, USA geboren. Die promovierte Philosophin lebt als freie Autorin in Berlin. Ihr Reise-Essay „Nachtzugtage“ erscheint im August bei der Friedenauer Presse / Matthes & Seitz Berlin.
Kommentare
Bei Butlers Stellungnahmen zum 7. Oktober sticht ins Auge, dass sie gar nicht erst den Versuch unternimmt, den Nahost - Konflikt in seiner historischen Dimension zu erfassen, zu verstehen. Butlers Problem - Zugang bleibt so nicht allein defizitär, er ist ungeeignet.