Peter Schäfer: „Im Christentum gab es einen platonischen Sündenfall“
Bis Sonntag feiern Juden an Rosch ha-Schana die biblische Weltschöpfung. Die böse Schlange und der Sündenfall sind der jüdischen Auslegung der Schöpfungsgeschichte fremd. Ein Gespräch mit dem renommierten Judaisten Peter Schäfer über den Schöpfungsmythos und seine christliche Fehldeutung.
Philosophie Magazin: Herr Schäfer, erlauben Sie mir zu Beginn eine Frage zu Ihrer Person: Sie sind ein renommierter Judaist nicht-jüdischen Glaubens. Was hat Sie dazu bewegt, der Judaistik ihr berufliches Leben zu widmen?
Peter Schäfer: Die einfache Antwort wäre: Es ist so lange her, dass ich mich nicht mehr erinnere. Die komplizierte Antwort ist, dass ich zunächst katholische Theologie in Bonn studiert habe, dem Studium allerdings nicht viel abgewinnen konnte. Besonders die Art und Weise, wie uns Hebräisch als tote Sprache beigebracht wurde, hat mich befremdet. Zudem gehöre ich der Generation an, die am Ende des Kriegs geboren wurde, und der Mief der deutschen Vergangenheit war in der Adenauerzeit noch sehr deutlich spürbar. Vielleicht gerade deshalb hat mich das Judentum, die hebräische Bibel und vor allem die Sprache sehr interessiert. Ich wollte unbedingt nach Israel, dort studieren und Hebräisch lernen. Als ich ein Auslandsstipendium erhielt, war die Theologie für mich erledigt. Ich bin nach Jerusalem gegangen und von da an widmete ich mich voll und ganz der Judaistik, sie wurde für mich zu einem alles bestimmenden Thema.
Haben Sie Ihre Beschäftigung mit jüdischen Schriften in Anbetracht Ihrer christlichen Wurzeln manchmal als konfliktreich und schwierig empfunden?
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