Die Spuren der Philosophie
Der Philosophie in ihrer akademischen und systematischen Gestalt misstraut Kafka. Doch mit Begeisterung liest er jene Denker, in deren Texten und Biografien er seine eigenen existenziellen Fragen erkennt.
Arthur Schopenhauer
inspiriert Kafkas Nachdenken über das „Unzerstörbare“ in uns
Kafkas Freund Max Brod ist bereits in jungen Jahren überzeugter Anhänger der Philosophie von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860). Kafka selbst entdeckt dessen Werk erst in den Jahren 1917 und 1918 für sich. In dieser Zeit hält er sich nach einem schweren Blutsturz im böhmischen Dorf Zürau auf und beschäftigt sich intensiv mit metaphysischen Themen wie Sünde, Tod und Erlösung. In seinen Zürauer Aphorismen zeigen sich deutliche Spuren der Schopenhauer-Lektüre, insbesondere in den Überlegungen, die sich mit dem „Unzerstörbaren“ im Menschen befassen: „Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd unbekannt bleiben können. Eine der Ausdrucksmöglichkeiten dieses Verborgenbleibens ist der Glaube an einen persönlichen Gott.“ Zwar verweist der letzte Satz auf einen christlichen oder jüdischen Kontext, doch erinnert der erste Teil an Schopenhauers Ausführungen „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich“. Hier schreibt Schopenhauer, dass mit dem Tod zwar die individuelle Persönlichkeit ende, doch das zugrunde liegende „Princip des Lebens“, der „Wille“, überdauere. In dieser Auflösung des Ichs und seinem Eingehen in das allgemeine Lebensprinzip sah Schopenhauer einen Trost. Während seines Lebens bedeutet es für den Menschen allerdings eine Qual, vom blinden und unstillbaren „Willen“ getrieben zu sein. Auch diese pessimistische Lebensbetrachtung findet bei Kafka ihren Widerhall, nicht zuletzt in seiner Abneigung der Sexualität gegenüber, die er als Äußerung eines ziellosen und unpersönlichen Drangs empfindet.
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